Im Land der gefiederten Schlange
lässt, und im Grunde sollen wir dir dafür auch noch dankbar sein.«
»Nein, sollt ihr nicht.« Er wandte sich ab, sah in die andere Richtung, wo über dem Haus das letzte Licht verlosch. »Ich wäre euch dankbar, wenn ihr das verdammte Geld nehmen würdet, damit ich es mir nicht um den Hals hängen oder seidene Hemden dafür kaufen muss. Ich wäre euch dankbar, wenn ihr es für die Ausbildung meiner Patensöhne aufheben würdet, wie mein Pate es für Miguel und mich gewollt hätte. Und einen Teil für die Mädchen, falls sie ledig bleiben wollen, und etwas für die Graue am Berg.«
»Benito«, rief sie ihn leise. »Dreh dich wieder zu mir.« Als er sich nicht rührte, legte sie ihm die Hände auf die Schultern und lehnte sich gegen seinen Rücken. »Miguel sagt, er will auf die Universität wie du und dein Pate Vicente und Anwalt werden. Er kann das Geld gut brauchen, und du machst auch ohne seidene Hemden genug Frauenherzen verrückt. Tust du mir noch einen Gefallen?«
»Wenn ich kann.«
»Bitte gib das Geld Carlos, nicht mir.«
Sachte befreite er sich und drehte sich um. »Glaub mir, das wollte ich. Ich habe nur noch mehr Angst, Carlos zu kränken, als dich.«
»Carlos war nie ein Mann, der sich die Wahrheit schöngeredet hat. Und ich war nie eine Frau, die sich aufs Lügen verstand. Er hat mit der Kränkung all die Jahre gelebt, und ich wünsche mir nur, dass er weiß …«
Als sie abbrach, sah er, dass ihre Augen nass waren und dass sie die Lippen zusammenpresste. »Er weiß es, Hueltiuhtli«, sprach er sie an, wie er es sonst nur bei Xochitl tat, und schloss die Arme um sie. »Er weiß, dass du all die Jahre mit ihm glücklich warst, und er war auch glücklich, und das Kind, das ihr habt, ist das Glück auf zwei Beinen. Was ist denn die Wahrheit, Carmen? Dass du deinen Mann nicht liebst, sondern einen verdrehten Hallodri, dem die Fähigkeit zur Treue fehlt? Wenn das die Wahrheit sein soll, dann weiß ich auf der Welt kein Paar, das sich liebt.«
Eine Weile weinte sie an seiner Brust. Dann hob sie den Kopf, rieb sich die Augen und gab seiner Wange einen forschen Klaps. »So, mein Schöner, jetzt ab zu Carlos mit dir. Inzwischen kümmere ich mich darum, dass wir alle etwas zu essen bekommen. Barbacoa vom Lamm und in der Mole mehr Chili als Schokolade?«
Er lächelte, auch wenn es sich anfühlte, als täten ihm die Mundwinkel weh.
In den Jahren in Santa María de Cleofás hatte Carlos gute und schlechte Tage gehabt. Ein guter Tag war, wenn er auf seinen Krücken ins Freie humpeln und bei Verrichtungen helfen konnte. Er hatte sich beigebracht zu melken und Holz zu hacken, Maismehl zu mahlen und Unkraut zu jäten. Er wusste auch, sich in der Küche nützlich zu machen, und statt über Weiberarbeit zu klagen, hatte er jeden Tag, an dem er nicht nutzlos gewesen war, einen guten genannt. Ein schlechter Tag war, wenn er aus eigener Kraft nicht aus dem Bett kam, wenn die Frauen ihn auf seinen Stuhl auf die hintere Veranda setzten und sein Sohn pflichtschuldigst herbeitrottete, um gelangweilt mit ihm Karten zu spielen. Ein Blick auf den ausgezehrten Mann auf der Bettstatt verriet Benito, dass es in letzter Zeit für Carlos nur noch schlechte Tage gegeben hatte.
Er kniete sich vor das Bett, wie er vor seiner Mutter kniete, um ihren Segen zu empfangen. Als Carlos lächelte, wurde ihm wieder einmal bewusst, wie sehr er ihn liebte, mehr noch als seinen Schwager Xavier, der ein prächtiger Kerl war. Das Gespräch fiel ihnen beiden schwer. Irgendwann sagte Carlos: »Es tut mir leid, dass ich so fürchterlich krächze.«
»Mir tut leid, dass ich so fürchterlich stammle«, entfuhr es Benito. Sie lachten beide, obwohl Carlos sichtlich Schmerzen litt. Um die Leibesmitte trug er erneut einen Verband und bat Benito, ihn zu wechseln, damit seine Frau es nicht tun müsse. Seine Schussverletzung war nie ausgeheilt, sondern brach von Zeit zu Zeit wieder auf. Sie hatten angenommen, Carlos würde nicht lange überleben, aber Carmen hatte ihn gepflegt, bis er stark genug war, mit ihnen nach Querétaro zu reisen. Kurz nach ihrer Ankunft in Santa María de Cleofás hatte sie ihn geheiratet.
Die Wunde stank nach Eiter und Infektion, aber Carlos bestand darauf, dass Benito sie sofort wieder verschloss. Er gab ihm das Geld und bat ihn, es in vier Teile zu teilen. Einen für Miguel und Enrique, einen für Donata und Angela, einen für den Rancho und einen für die Graue am Berg. »Gehst du zu ihr, bevor du aufbrichst?«, fragte
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