Im Land der gefiederten Schlange
es kommt mir auch reichlich anstrengend vor. Warum sprechen Sie es nicht aus? Meine Tochter ist eine Mestizin. Ein Mischling. Na und? Dieses Schicksal teilt sie mit einer Schar machtvoller Gestalten der Weltgeschichte, von den Titanengöttern angefangen. Wir haben sie nach Martin, dem Sohn der Malinche, benannt, weil wir ihr wie ihm die Kraft und den Reichtum zweier Völker wünschten. Ja, vielleicht ist das Leben härter, wenn man in keinen der gängigen Schübe passt, aber steckt es nicht auch voller Möglichkeiten? Nehmen Sie nur Martina als Beispiel – da sie ohnehin gegen jede Konvention verstößt, darf sie ihr Leben führen, wie es ihr gefällt.« Nach einem weiteren Zug aus der Pfeife fügte er hinzu: »Sie wird sogar den Mann heiraten können, den sie sich selbst wählt, und niemand wird deshalb in Ohnmacht sinken.«
Martina ist reich, durchfuhr es Christoph. Was wusste Claudius von Schweinitz, der seiner Tochter jeden Stein aus dem Weg kaufen konnte? Vom Haus her sah er die Baronin kommen. Sie trug ein Kleid in so dunklem Rot, dass es beinahe schwarz war, und ein Tuch aus durchbrochener Spitze auf dem schönen aschgrauen Haar. Gewandt trat sie hinter ihren Mann und legte ihm die Hände auf die Schultern. Er schmiegte das Gesicht an ihren Arm. Was wisst denn ihr?, begehrte Christoph auf. Hätte ich euer Geld, euren Rückhalt, den Hort eurer Zärtlichkeit gehabt, ich hätte die Frauen meiner Familie lieben lassen, wen sie wollten. Meine Frau und ich hätten einander nicht weniger geliebt als ihr, und aus unserer Tochter wäre keine ledige Mutter und aus unseren Söhnen wären keine Gauner geworden.
Die Eheleute lächelten ihm wie aus einem Mund entgegen. »Werden Sie Katharina besuchen?«, fragte die Baronin, von der Claudius von Schweinitz ihm erzählt hatte, sie stünde, wäre die Geschichte Mexikos anders verlaufen, höher im Adelsrang als er. »Das freut mich. Ihre Nichte ist sehr tapfer, aber im Inneren muss sie sich fühlen, als hätte sie auf der Welt keinen Menschen mehr.«
Tu es jetzt, spornte er sich an, und der ungewohnte Zorn verlieh ihm Kraft. Auf einmal ertrug er es nicht länger, unter den frisch gewässerten Palmwedeln im Korbstuhl zu sitzen, importierten Weißwein zu trinken und philosophische Betrachtungen anzustellen, während das Leben seiner Familie in Scherben lag. »Katharina ist nicht meine Nichte«, erklärte er und stand auf. Von nun an würde es vor der ganzen Welt so stehenbleiben, und die Welt schloss Inga und seine Kinder ein. »Sie ist meine Tochter«, sagte er, und dann verließ er den Garten, um zu ihr zu fahren.
35
»Wer war sie?«
Drei Worte. Drei Silben. Jedes einzelne hatte sie ihrer Kehle abringen müssen. »Meine Mutter – wer war sie?«
Er saß ihr auf Martinas Dach gegenüber, wie er so oft in der Wohnstube gesessen hatte, ihre Kindheit hindurch, auf allen Festen und Zusammenkünften. Sie hatte ihn nie richtig angesehen, wie man ein Möbelstück, das immer da ist, nicht ansieht, er war ihr trauriger Onkel gewesen, und damit war es genug. Jetzt aber sah sie ihn an. Einen ansehnlichen, wenn auch früh gealterten Mann mit graublauen Augen und verblichenem Haar, der ihr gerade mitgeteilt hatte, dass er ihr Vater war. Für gewöhnlich druckste er vor jedem Satz so lange wie Stefan, aber diese Sätze hatte er in einem Atemzug herausgebracht: »Ich hatte eine Liebschaft, Kathi. Daraus ist ein Kind entstanden. Die junge Frau starb bei der Geburt, und ihre Verwandten haben mir das Kind gebracht. Ich wollte Inga nicht verletzen, deshalb haben Marthe und Peter es zu sich genommen.«
»Und dieses Kind war … ich?« Die Worte klangen hohl, Geklimper ohne Bedeutung.
Onkel Christoph, der behauptete, ihr Vater zu sein, nickte. »Peter und Marthe waren überglücklich, dich bei sich zu haben.«
In den Tagen nach dem Eklat hatte sie unentwegt schreien wollen, durch alle Zimmer des Palais laufen, Dinge packen und zu Boden schleudern. Jetzt breitete sich in ihr eine kalte, geradezu tödliche Ruhe aus. »Wer war sie?«, verlangte sie zu wissen. »Meine Mutter – wer war sie?«
»Kathi, deine Mutter ist Marthe. Kein Mensch könnte sein leibliches Kind mehr lieben, als sie dich geliebt hat.«
Katharina hörte ihm kaum zu. Sie starrte wieder auf das Haar des Onkels, das sich wie bei Stefan und Hermann am Scheitel lichtete, dann griff sie sich in die eigenen Massen schwarzer Strähnen. »Von ihr habe ich mein Haar, ja? Mein grässliches Haar! Ein liebes Mädchen aus der
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