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Im Land der gefiederten Schlange

Im Land der gefiederten Schlange

Titel: Im Land der gefiederten Schlange Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: carmen lobato
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Wandgemälde sprang ihr entgegen, in Farben von einer Leuchtkraft, die sie zwang, kurz die Augen zu schließen.
    Als sie sie wieder aufschlug und sich allmählich an die Gewalt der Farben gewöhnte, erkannte sie eine Riesenschlange, deren aufgesperrten Kiefern eine weitere Schlangengestalt entstieg. Diese hatte einen menschenähnlichen Kopf und statt der Schuppen scharlachrote und türkisgrüne Federn. Der Hintergrund war noch nicht fertig. Katharina erkannte zertrümmerte Häuser, einstürzende Tempel und Gesichter mit aufgerissenen Mündern in der hinteren Hälfte, doch in der vorderen Hälfte war die Wand noch weiß.
    »Und? Gefällt es dir?«
    Katharina zuckte zusammen. In ihrer Versunkenheit hatte sie nicht bemerkt, dass sich jemand im Raum befand. Ein junger Mann mit hellbraunem, sich am Scheitel lichtendem Haar saß auf einem der Stühle unter dem Fenster. Um ihn verteilten sich Malutensilien, eine Palette, ein Kasten mit Pinseln, ein paar Farbtöpfe. »Der Morgenstern fehlt noch«, erklärte der Mann mit einem Lächeln in der Stimme. »Ich habe Martina gesagt, wenn ich ihn heute nicht fertigmache, wird der Putz trocken, und ich muss ihn neu auftragen, aber es gibt eben Dinge, für die muss selbst die Kunst warten, oder?«
    »Das ist …«, begann Katharina, wies auf das Bild, sprach aber das Wort nicht aus.
    »Quetzalcoatl«, tat er es für sie. »Die gefiederte Schlange. In manchen Gegenden nennen sie ihn den Regen, den der Wind trägt, weil das Geräusch, das eine Schlange in Federn macht, ähnlich ist. Martina wollte gern ein Bild von Mexiko, und da ganz Mexiko in keinen Rahmen passt, haben wir beschlossen, ihm zumindest Platz auf einer Wand zu geben. Wusstest du, dass Menschen schon auf Wände gemalt haben, als sie von Leinwand oder Papier noch nicht einmal eine Ahnung hatten?«
    Katharina sah von dem Maler auf das Bild und vom Bild wieder auf den Maler. »Du«, begann sie ungläubig zu stottern, »du bist Martinas Bräutigam?«
    Das Lächeln des Mannes wurde breiter. »Das auch – aber vor allem bin ich dein Vetter, oder?«
    Sie rannten aufeinander zu und fielen sich in die Arme. In ihrer Erinnerung war er ihr bis zur Schulter gegangen, jetzt überragte er sie und umschlang sie mit der typischen Hartmann-Schlaksigkeit. »Felix!«, rief sie und ließ ihre Fragen auf ihn einprasseln. »Wo kommst du her, wo bist du gewesen, wie lange bist du schon hier, und was machst du ausgerechnet bei Martina?«
    Er lachte. »Ich male Bilder, sieht man das nicht? Zu etwas anderem tauge ich nicht, also habe ich eben Malerei studieren müssen und dann noch ein bisschen reisen, um dies und jenes auszuprobieren. Martinas Familie hat mir geholfen. Und aus lauter Undankbarkeit erdreiste ich mich, ihnen die kostbare Tochter zu entführen und ihr den schnöden Namen Hartmann zu verpassen.«
    »O Felix, das ist einfach wundervoll!«
    »Findest du? Soll ich ihn also wirklich nehmen?«
    Katharina fuhr herum. In der Tür stand Martina, in deren Gesicht dasselbe glückliche Leuchten stand wie bei Felix. »Hör auf, dumme Fragen zu stellen«, sagte Katharina. »Dass du sollst, weißt du selbst.«
    Martina warf den Kopf in den Nacken. »Also schön. Wenn meine Lehrerin es mir gebietet, kann ich mich ja schlecht widersetzen und muss den schönen Capitán Alvarez ziehen lassen.«
    Einen Herzschlag lang erstarrte Katharina. Vermutlich würde sie sich nie daran gewöhnen, diesen Namen beiläufig gesprochen zu hören, auch wenn es kein allzu seltener Name war. Ebenso wurde in ihrer Brust etwas kalt, wenn jemand den Präsidenten Juárez bei seinem Vornamen nannte, aber im nächsten Moment hatte sie sich wieder in der Gewalt. Als sie sich umwandte, stoben Martina und Felix, die sich umarmt hatten, schuldbewusst auseinander. »Lasst uns was trinken«, schlug Martina vor. »Champagner? Wie war es mit Christoph?«
    Katharina schüttelte den Kopf. »Über Christoph mag ich nicht sprechen. Lieber mir mit euch einen kleinen Schwips antrinken oder auch einen großen und alles vergessen.«
    »Du Arme.« Martina nahm sie bei den Händen, zog sie zu den Stühlen und reichte ihr ein Glas. »Soll ich dir statt Champagner meinen Kakao mit Windensamen brauen? Von dem vergisst der stärkste Mann, dass er Angst vor weißen Mäusen hat. Benito habe ich ihn auch einflößen wollen, aber Benito ist ja ein tapferer mexikanischer Held, der dem Tod ohne tröstlichen Zaubertrank entgegentritt. Weißt du was? Ich hätte Benito überreden sollen, hierzubleiben.

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