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Im Land der gefiederten Schlange

Im Land der gefiederten Schlange

Titel: Im Land der gefiederten Schlange Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: carmen lobato
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nach unten und nehme dir einen von den Herren ab.« Vielleicht war es gut, sich unter Fremde zu mischen, zu tanzen und zu trinken, als wäre sie nicht sie selbst. Sie selbst – wer war das überhaupt? Katharina Lutenburg gab es nicht mehr, sie konnte sein, was immer ihr einfiel: Mördertochter, Kreolin, Dienstmädchen, Kaiserin, Säuferin, Hure … Sie hatte keinen Grund mehr, ein deutsches Mädchen zu sein, das nicht log, nicht sündigte, keine bösen Worte in den Mund nahm, keine dreckigen Wilden liebte.
    »Bitte komm nach Hause«, sagte Christoph, als Martina verschwunden war. »Es hat sich doch nichts geändert, Kathi. Deine Eltern lieben dich, sie wissen nicht, wie sie ohne dich leben sollen. Und Stefan ist nicht mehr er selbst, seit du fort bist. Er liebt dich so sehr …«
    »Hast du etwas von ihr?«, unterbrach sie ihn, um sein Gerede nicht länger hören zu müssen. »Von meiner Mutter? Hast du einen Gegenstand, den ich anfassen kann, damit ich es begreife?«
    Ein paar Augenblicke lang sah er sie an, als verstünde er ihre Worte nicht. Dann langte er in seine Westentasche und zog seine Uhr heraus. Quälend langsam ließ er den Deckel aufschnappen und löste etwas, das an einer Kette über dem Ziffernblatt hing. Er hielt es ihr entgegen. Als sie die Hand hob, um es zu nehmen, zitterte ihr Arm.
    Es war ein Goldreif für einen sehr schlanken Finger. Drei königsblaue, zu Rauten geschnittene Steine schmückten ihn. »Von … meiner Mutter?«
    Christoph nickte.
    »Darf ich ihn behalten?«
    Wieder nickte er.
    Katharina schob sich das Schmuckstück auf den Ringfinger, hatte Schwierigkeiten, es über den Knöchel zu streifen, und würde es womöglich nie mehr abziehen können. Der Ring ihrer Mutter war ihr zu klein. »Ich will, dass du jetzt gehst«, sagte sie zu Christoph. Sie hatte zu viele Fragen, um eine einzige zu stellen, und das Gefühl, mehr nicht auszuhalten.
    »Katharina …«
    »Nein, eines noch«, verbesserte sie sich. »Es ist nicht recht, dass ihr Felice nicht mehr zur Schule schickt. Felice lernt gut, sie könnte studieren wie Martina, und diesen Wirrwarr, den ihr angerichtet habt, ist nicht ihre Schuld.«
    »Darüber entscheidet Josephine«, sagte Christoph, »nicht ich.«
    »Nein, natürlich nicht«, erwiderte sie. »Du hast für deine Enkelin ja nie etwas entschieden. Sowenig wie für deine Tochter.« Damit hatte sie Jo gemeint, doch im selben Atemzug wurde ihr klar, dass es auch ihr hätte gelten können. »Bitte lass mich allein«, sagte sie.
    Schwerfällig erhob er sich vom Stuhl und machte drei Schritte auf die Treppe zu. »Darf ich wiederkommen?«
    »Ich gebe dir Bescheid.«
    Er tat einen weiteren Schritt, dann wandte er ihr sein gequältes Gesicht noch einmal zu. »Kannst du mir irgendetwas sagen?« Es war mehr Flehen als Fragen. »Für … für Marthe?«
    Katharina überlegte. Dann schüttelte sie den Kopf.
    Wie in Trance stand sie auf, trat an die Brüstung und sah über die Stadt hinweg zur gezackten Silhouette der Vulkane. Der milde Tag schlug in einen kühlen, windigen Abend um, und über den Himmel flohen dunkle, sich ballende Wolken. Die Regenzeit war vorüber, doch in dieser Nacht würde es nicht trocken bleiben.
    Auf der Straße vor der Alameda sah sie Martina, die von einem Mann Abschied nahm. Sie hielten sich in den Armen, der Schopf des Mannes war dunkel, und er war so groß, dass sie den Kopf an seine Schulter lehnen konnte. In Katharinas Brust wühlte die Einsamkeit wie mit Schaufeln. Als der Mann sich löste, hob die blasphemische Spötterin Martina die Hand und zeichnete ihm ein Kreuz auf die Stirn. Sie gehört dazu, auch wenn sie alles verlacht. Sie ist Teil von etwas – ich bin allein. Als der erste Tropfen auf ihrer Hand zerplatzte, hielt sie es nicht länger aus, stieß sich von der Brüstung ab und floh ins Haus.
    Vertraute Gäste empfing Martina am liebsten in dem Raum, den sie ihr Abendzimmer nannte und der nach dem Vorbild englischer Landsitze mit einem Kamin, zierlichen Polstermöbeln und Fayencen eingerichtet war. Als Katharina jetzt die Tür dieses Zimmers aufzog, hielt sie vor Verblüffung den Atem an. Im Kamin flackerte wie stets an kühlen Abenden ein Feuer, doch ansonsten war von der Einrichtung kein Stück mehr vorhanden. Der fast quadratische Raum war kahl, die Bodenfliesen ihrer Teppiche beraubt und die Wände geweißelt wie eine Außenmauer. An der linken Wand war von dem noch feuchten Putz jedoch kaum mehr etwas zu sehen. Ein gewaltiges

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