Im Land der gefiederten Schlange
dazwischen sein Gesicht.
Benitos Gesicht.
Eine Taube schrie.
Im Traum versuchte sie sich zu beschwören, sie dürfe keinen Menschen blutig schlagen, aber sooft sie ansetzte, begehrte eine Stimme in ihr auf: Er wollte das bucklige Päckchen stehlen, das bucklige Päckchen ist alles, was ich habe!
Als sie erwachte, war sie in Schweiß gebadet und hatte beide Hände zu Fäusten geballt. Die Sonne, die sie sonst mit ihrem ersten Licht weckte, schien prall ins Fenster, und geweckt hatte sie ein Klopfen an der Tür – laut und ungestüm, wie nur Martina klopfte. Ehe Katharina sich die Haare aus dem Gesicht streichen konnte, stürmte die Freundin ins Zimmer.
Zu sehen waren von ihr nur der Rock und die Füße. Alles andere verbarg sich hinter einem gewaltigen Blumenbukett – rote Rosen, so dunkel, dass die Händler sie schwarz nannten. Wo bekam man derart seltene Rosen in so rauhen Mengen, dass Martina sie kaum in den Armen halten konnte, und wer gab ein solches Vermögen für Blumen aus? Felix, der mehr oder weniger von der Hand in den Mund lebte, gewiss nicht.
»Guten Morgen, Langschläferin«, rief Martina und warf ihr die Rosen aufs Bett. Der Duft, den sie verströmten, war betörend. »Ich dachte, du wolltest dir gestern den Habsburger Usurpator ansehen, aber stattdessen scheinst du auf Männerfang gegangen zu sein.«
Um den Sinn der Worte zu erfassen, war Katharina noch nicht wach genug. In die Nebel des Alptraums schoss ein Gedanke: »Ich bin zu spät. Ich muss zum Unterricht!«
Martina winkte ab und setzte sich auf den Bettrand. »Ich habe einen Boten geschickt und ausrichten lassen, du habest dir den Magen verdorben. Nachdem deine Nacht offenbar alles andere als geruhsam war, dachte ich, du könntest Schlaf gebrauchen.«
»Was war mit meiner Nacht?« Katharinas Finger hatten wie von selbst begonnen mit den Blütenblättern der Rosen zu spielen, die sich samtig, zart und kühl anfühlten.
»Ich weiß nicht, Schätzchen. Du hast geschrien, als würdest du gefoltert.«
In Wellen kehrten die Bilder des Traums zurück. Unwillkürlich fiel ihr Blick auf ihre Hände, aber an ihren Fingern klebte kein Blut, nur ein wenig Blütenstaub. Martina deckte ihre Hand darüber. »Na komm, rupf die Liebesgabe nicht entzwei. Sag mir lieber, wer der edle Spender ist.«
»Der edle Spender? Meinst du, du weißt nicht, wer dir diese Rosen gesandt hat?«
Martina lachte. »Mir hat die leider niemand gesandt, ich liebe ja einen Burschen, der arm wie eine Kirchenmaus ist. Du aber offenbar nicht.«
»Wieso ich?«
Martina griff in die Blüten und zog eine weiße Karte heraus. »Darf ich Sie sehen?«, las sie vor. »Morgen Nachmittag, bei einer Zerstreuung zu Ehren des Kaisers? Wenn Sie meinem Boten nichts Abschlägiges ausrichten, hole ich Sie um drei Uhr ab. In Verehrung. Valentin Gruber.«
Ganz sachte, beinahe ungläubig begann Katharinas Herzschlag sich zu heben. Was sich unter ihren Rippen regte, war kein Hämmern, höchstens ein Flattern, das bisschen Hoffnung, das einen gefangenen Vogel auftreibt.
In Verehrung. Valentin Gruber.
Martina stützte ihr Kinn in eine Hand und musterte sie. »Du weißt, dass ich dir alle schönen Männer der Welt gönne, nicht wahr, Lindissima? Sogar den, der mir noch weiche Knie machen wird, wenn ich grau wie eine Nebelschwade bin, und der gefragt hat, ob er dich sehen kann, falls er je wieder herkommt und nicht künftig dem Sonnenweg vom Zenit bis zum Untergang folgt.«
»Martina, kannst du bitte …«
Martina hob die Hand. »Nein, warte, Schätzchen. Lass mich ausreden. Bis auf deinen pinselnden Vetter gönne ich dir jeden Mann, der herumläuft, und einen, der dir den Weg mit Rosen bestreut, erst recht. Auch Valentin Gruber, warum nicht? Klingt possierlich. Nach kleinen Löckchen beim Schwitzen und Grübchen, nicht nur in den Wangen. Nein, sieh mich nicht an wie die fleischgewordene Sünde, du bist nicht mehr meine Lehrerin, und ich bin nur ein Mädchen, das etwas von der Liebe versteht und ausspricht, was andere gern denken würden. Ich gönne dir Valentin Grubers Löckchen, Grübchen, Rosen und noch mehr. Ich bitte dich nur, im Gedächtnis zu behalten, dass der Kaiser, zu dessen Zerstreuung du geladen bist, kein Kaiser ist und dass er in diesem Land nichts verloren hat. Um deiner Freunde willen, Kathi. Für die Menschen, die dich noch lieben, wenn Valentin Gruber und sein Kaiser der Geschichte angehören.«
»Ich weiß nicht, was du meinst«, erwiderte Katharina mit unangemessener
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