Im Land der gefiederten Schlange
Schlüsselbund hinunter. Valentin wusste nicht, wo er zuerst hinsehen sollte, denn zugleich ritten zwei weitere Reiter in den Ring. »Picadores«, erklärte ihr mexikanischer Führer. Die Männer trugen übertrieben gemusterte Anzüge mit kurzen Jacken und altmodische Lanzen, von deren Schäften rote, weiße und grüne Bänder wehten. Ihnen folgten vier ähnlich gekleidete Männer zu Fuß, bewaffnet mit kurzen, ebenfalls mit Bändern geschmückten Spießen. Sie winkten dem Publikum zu, das ihren Gruß mit gemessenem Applaus bedachte.
Gleich darauf schlug die Gemessenheit in wilden Jubel um. Ein einzelner Mann betrat die Arena, das schwarze Haar mit Brillantine zurückgestrichen und die Kleider – schwarz und golden – so eng auf den Leib geschneidert, dass jeder Muskel den Stoff spannte. Die Zuschauer sprangen von den Sitzen und brüllten: »El Matador! Viva el Matador!« Der Mann erwiderte die Begeisterung lediglich mit einem Heben der Hand. Auf seinem Gesicht lag ein Zug von solchem Hochmut, als ließe alles Lärmen der Welt ihn kalt.
Valentin gehörte nicht zu den Männern, die andere Männer begafften, schon gar nicht Männer mit verlebten Zügen, zu engen Kleidern und zu schwarzem Haar. Dennoch hatte der Matador etwas an sich, das ihn zwang, ihn anzusehen. Es war der Stolz, mit dem er ging, und noch mehr.
Die Todesverachtung.
Valentin hatte Männer erlebt, die vor der Schlacht heulten, kotzten und nach ihren Müttern schrien. Der Matador aber sah dem Tod mit Kälte entgegen. Während die Musik sich steigerte und der Jubel schwoll, schritt er ungerührt die Barriere ab. Nur wer es selbst schon getan hatte, erkannte, dass seine Lippen ein stimmloses Gebet formten.
Die Musik verstummte. Einen Herzschlag lang herrschte Schweigen, dann zerschnitt das Signal eines Horns die Sommerluft. Die Banderilleros mit den geschmückten Spießen verließen im Laufschritt die Arena. Der Rappenreiter öffnete mit dem Schlüsselbund das Tor, dann wendete er sein Pferd und sprengte im Galopp aus der Arena. Gleichzeitig wichen die Picadores in den äußeren der Kreise zurück. Allein der Matador stand vor dem Tor und erwartete sein Schicksal. Den Stier.
In versammeltem Trab verließ das Tier den Corral. Es hatte keinen Blick für das johlende Publikum und keinen für die Picadores auf ihren tänzelnden Pferden, sondern nur für den Matador. Der Stier verhielt und scharrte mit einem Huf im Sand, dass unter dem schwarzen Fell die Muskeln spielten. Eine kleine Ewigkeit lang standen sie Auge in Auge. Dann griff der Stier an. Mit gezügelter Kraft galoppierte er auf den Mann zu, der ihm ein großes rot-gelbes Tuch als Angriffsfläche bot. Geschmeidig schwang er zur Seite und ließ den Stier ins Leere laufen. Der vollführte ein paar Sprünge, lief sich aus, ehe er stehen blieb und den mächtigen Kopf wandte. Der Matador trat zwei Schritte zurück und überließ den Picadores das Feld.
Unschwer war zu erkennen, dass diese die Aufgabe hatten, den Stier zu reizen und anzustacheln. Sie ritten auf ihn zu, drehten so spät wie möglich um und sprengten ein Stück weit davon, um dann erneut zu wenden und das Tier zu stellen. Ein paarmal ließ der Stier sich darauf ein, setzte aber nur wenig Kraft ein, so dass die Zuschauer begannen ihn auszubuhen. Dann, bei seinem fünften Anlauf, schwenkte er plötzlich nach links aus. Der Picador bemerkte die Bewegung zu spät, warf sich zur Seite und riss das Pferd im Maul, doch ehe das Tier vom Fleck kam, hatte sich das Horn des Stiers in seine Flanke gebohrt. Gepeinigt bäumte es sich auf, warf den Reiter ab und bleckte wiehernd die Zähne.
Der Stier lief bis an die Barriere weiter, drehte sich um und galoppierte auf den Picador zu, der reglos im Sand lag. Spätestens jetzt war auch dem letzten Zuschauer klar, dass dies kein Spiel war, sondern tödlicher Ernst. Ein Trupp Helfer übersprang die Barriere, konnte den Gestürzten jedoch nicht mehr erreichen. Im letzten Moment ritt der zweite Picador so nah an den Stier heran, dass er ihm die Spitze seiner Lanze in den muskelbepackten Nacken bohren konnte. In einer Wolke wirbelnden Sandes schoss der Stier herum und jagte auf den Angreifer zu, der die Lanze losgelassen hatte und davongaloppiert war. Sein gestürzter Gefährte rappelte sich auf und floh hinter die Barriere.
Das Publikum raste. »Viva el Toro!«, erscholl es aus tausend Kehlen. »Es lebe der Stier!«
Valentins Blick fuhr zur Seite. Auf Katharinas Gesicht, in ihren aufgerissenen Augen
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