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Im Land der gefiederten Schlange

Im Land der gefiederten Schlange

Titel: Im Land der gefiederten Schlange Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: carmen lobato
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erkannte er denselben gewaltigen, geradezu heiligen Schrecken, der ihm in der Brust toste. Ihm wurde klar, dass er mit keiner Frau, die er kannte, dieses grandiose Schauspiel hätte teilen können, nicht mit Ildiko, die höchstens den Theatertod der Oper liebte, und schon gar nicht mit der zarten Veronika. Aber mit ihr.
Mit Katharina.
Ihre Hände schlossen sich umeinander so fest, als wollte einer dem anderen die Knochen brechen. In der Arena setzte der Matador sein Geplänkel mit dem Stier fort, lockte ihn und wich ihm aus, wobei unverkennbar war, dass dies der Vorbereitung diente und der wirkliche Kampf noch ausstand. Ein wenig glichen die beiden einem tanzenden Paar, dem man ansah, dass sein Drehen und Schwingen der Auftakt zu etwas Größerem war.
    Wie bei uns, dachte Valentin und wünschte sich, mit Katharina zu tanzen. In der Arena, in der der Tod zum Sprung ansetzte, in der das Blut vom Nacken des Stiers in den Sand troff und das waidwunde Pferd davongeschleift wurde. Ein rotes Kleid sollst du tragen. Und es soll nur der Auftakt sein. Das Signal des Horns beendete die erste Runde.
    Die Banderilleros stürmten zur zweiten in den Ring, als ein Trommelwirbel noch einmal Einhalt gebot. Wie ein Mann erhob sich das Publikum beim ersten Ton der Kaiserhymne. Valentin zog Katharina mit sich, hieß sie mit sanftem Druck, den Kopf zu wenden, und zeigte ihr den oberen Rang, wo der Kaiser über den Köpfen der Menge auftauchte. Maximilian von Mexiko. Über ihm nur der weite Himmel und die rote Sonne seines Reiches. »Viva el Emperador!«, ertönte es aus einer heiseren Kehle, und aus unzähligen pflanzte der Ruf sich fort. »Es lebe der Kaiser!«
    Auf Maximilians Gesicht breitete sich das Lächeln aus, das ihm in Scharen Herzen gewann. Wir werden es schaffen, rief Valentin ihm in Gedanken zu und drückte Katharinas Hand. Wir werden dieses wundervolle Land umarmen und es uns zu eigen machen.
    In der zweiten Runde trieben die Banderilleros den Stier zur Raserei, indem sie ihn mit den rot-gelben Tüchern auf sich lenkten, ihre Körper nach hinten spannten und sie, sobald er nahe genug war, vorschnellen ließen, um ihm die Spieße in den Nacken zu bohren. Anders als der Matador trieben sie durchaus nur ein Spiel, aber eines, das dem Finale den Weg bereitete. Sie waren bedacht, sicheren Abstand zu wahren, doch mit dem Schmerz, den sie dem Stier zufügten, fachten sie den Funken seines Zorns zur Weißglut an. Aus dem Nacken des schwarzen Ungeheuers staken die Spieße, dass er den Kopf senken musste, um die Qual zu ertragen. Blut strömte ihm die Flanken hinunter, doch unermüdlich rannte er gegen seine Widersacher an. »Es lebe der Stier!«, belohnten ihn noch immer einzelne Zuschauer für seine Tapferkeit.
    »Es lebe der Kaiser!«, ertönte es dazwischen.
    Wenn die Banderilleros dem Stier zu sehr zusetzten, mahnte der Matador sie zur Mäßigung. Er wollte ihn bis an die Grenzen aufgepeitscht. Aber er wollte ihn nicht entkräftet.
    Das Horn beendete die zweite Runde.
    Einer der kleinen affenartigen Diener eilte herbei und bot Valentin ein Tablett mit zwei Kelchen dar, in denen dunkler Wein funkelte. Valentin tauchte einen Finger hinein, hob Katharinas Hand und ließ einen Tropfen auf ihren Handrücken perlen. Er senkte den Kopf darüber und küsste den Tropfen fort. Erst dann nahm er dem Indio-Jungen die Kelche ab und reichte ihr einen. Der Himmel hinter ihr zerfloss in Flammen. »Auf die Schönheit«, sagte er leise.
    Sie erwiderte nur seinen Blick. Der Wein war wie der Kampf in der Arena – schwer und todernst.
    Als die dritte Runde begann, war alles Beiwerk verschwunden. Picadores und Banderilleros hatten sich hinter die Barriere zurückgezogen, und der Matador stand allein vor dem Stier. Statt des großen Tuches hielt er nur noch einen roten Fetzen, die Muleta in der einen Hand und in der anderen den Estoque, den Degen. Im Licht des frühen Abends zeichnete sich die Gestalt des Mannes, der seine Furcht überwand und sich der Bestie stellte – der stolz erhobene Kopf, die zurückgelehnten Schulterblätter, die Spannung von Bauch und Schenkel. Die Musik setzte wieder ein, der Marsch von Liebe und Tod, dessen Takt Valentin bis in die feinste Ader spürte. Der Stier, auf der anderen Seite der Arena, spie blutigen Schaum in den Sand. Beiden blieb nur die Wahl zwischen Sterben und Töten. Der Stier senkte den Kopf in den Lauf und griff an.
    Ein Raunen ging durch die Menge.
    »Mata el Toro!«, brüllte jemand, und auch dieser

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