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Im Land der gefiederten Schlange

Im Land der gefiederten Schlange

Titel: Im Land der gefiederten Schlange Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: carmen lobato
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dem Vorort verbringen. Traude dankte den himmlischen Mächten, dass er nicht bereits abgereist war. Sie brauche Geld, weil Traude Schulden gemacht habe, erklärte sie ihm, sie wolle auf dem Namen der Toten keinen Schandfleck belassen, und außerdem sei nichts für das Begräbnis da. »Ich wüsste keinen Grund, warum ich Ihnen nicht aus einem Engpass helfen sollte«, entgegnete der Baron. »Sie sind nicht verpflichtet, mir dafür eine Erklärung zu liefern.«
    Er stellte einen Wechsel aus und bot an, sie zum Bankhaus zu begleiten, um ihn einzulösen. Marthe lehnte ab. Sie wollte allein sein. Die Erpresserin finden, sich noch einmal ihre Spanne Frieden erkaufen und im Stillen darauf hoffen, dass sie Kathi traf. Wenn, dann wollte sie zu ihr sagen: Komm zu Weihnachten nach Hause, mein Mädchen. Dass wir dich lieben, ist auch eine Wahrheit.

45
    Das leuchtende Grün in den Wäldern seiner Kindheit – die pralle Fruchtbarkeit Querétaros wie der wuchernde tropische Wildwuchs von Veracruz – fand seine dunkle Entsprechung in den bewaldeten Hängen von Michoacán. Dicht gedrängt an die Rücken der Berge stand der Pinienwald, als würde er das Tal vor den Vulkanfeldern, die sich dahinter erstreckten, abschirmen. Er duftete nach Harz und Moos, und sein Grün erschien noch aus der Nähe schwarz gegen das Weiß der ewigen Nebel, die die Gipfel umhüllten.
    Es war ein stiller Wald, in dem man das Knuspern der Hirschmäuse in den Zweigen und das Flügelrauschen der Monarchfalter hören konnte, die jetzt, da der Frühling nahte, in Riesenschwärmen in ihre nördliche Heimat aufbrachen. Man musste dazu nur still sein, und Horden von Soldaten, selbst wenn sie sich verborgen hielten, waren nie still. Manchmal, für einen Atemzug, wünschte Benito, er hätte die Weite und Tausendfalt seines Landes auf leisen Sohlen kennenlernen dürfen, nicht in Nagelstiefeln, in Ehrfurcht schweigend, nicht mit dem Tod in der Hand.
    Im Tal säumten Avocadobäume die Ufer eines schläfrigen Flusses, der in der Regenzeit schwellen und die Wiesen mit Wasser sättigen würde. Die nahe Stadt hieß Uruapan, Ort, an dem immer Früchte wachsen, und sie trug ihren Namen zu Recht. Benito hatte zwei seiner Männer ausgeschickt, um die nachgereiften Avocados vom Boden zu sammeln, während andere die Baumfallen prüften und mit zwei Coati-Bären zurückkehrten. Demzufolge hatten sie an diesem Abend endlich einmal ausreichend zu essen.
    Die Männer waren genügsam und tapfer und nörgelten höchstens, um sich Luft zu verschaffen. Dass ihre Kameraden überall im Land Niederlagen einsteckten, dass ihre Einheiten in Michoacán, unter Nicholas Romero, die einzigen Juárista im Land waren, die noch Siege errangen, ließ sich jedoch nicht vor ihnen verbergen und zermürbte ihre Moral. Benito hatte bei Romero, der den Oberbefehl innehatte, obwohl er nie General einer Armee gewesen war, vorgesprochen und um ein Fass Pulque gebeten.
    »Willst du die Kerle abfüllen, damit sie nicht mehr zielen können?«, hatte Romero gefragt.
    »Nein. Ich will, dass sie ab und zu den Eindruck haben, wir wüssten, was sie wert sind«, hatte Benito erwidert.
    Romero war ein massiger Kerl mit schwarzem Bart und riesenhaften Händen und spielte den Banditen, für den viele ihn hielten, mit Vergnügen. In Wahrheit war er vor allem ein genialer Stratege, ein wahrer Glücksfall, auf dem sämtliche Hoffnungen ruhten. Auf seine Order hin hatte Benito sich den Kämpfern wieder angeschlossen, und Romero hatte ihn mit den Worten begrüßt: »Ich mag keine Indios. Skunks mag schließlich auch keiner. Dich habe ich trotzdem angefordert, weil der Ferrante sagt, du hast so viel Grütze im Kopf, dass man deinen Gestank vergisst.«
    »Vergessen Sie ihn besser nicht, Señor Comandante«, hatte Benito gesagt. »Wir Skunks können nachlegen.«
    Den Pulque hatte er bekommen. Zusammen mit den Avocados und dem über niedrigstem Feuer gerösteten Fleisch ergab er geradezu ein Fest in der Bodensenke unter den Pinienzweigen. Das Vergnügen war den Männern zu gönnen. Zwei Tage lang hatten sie in Zitacuaro den Österreichern einen bewundernswerten Kampf geliefert und auf dem Rückzug sechs Planwagen und zwanzig Maultiere voll Material erbeutet. Sie hatten sich einen Ruf erworben –
Romeros Teufel von Michoacán,
die Guerilleros zum Zähneausbeißen. Sie hatten das bisschen Rausch und das verhaltene Gelächter durch die Nacht verdient.
    »Trinken wir auf den Capitán!«, rief Guerrero, ein rothaariger Kreole

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