Im Land der gefiederten Schlange
haben sie nach hier oben geschickt, um mir den Bart zu zausen. Es ist einfach köstlich, wie diese Kerle debattieren und mit den Armen fuchteln, und alldieweil steht Romero keine fünf Schritt hinter ihnen und lacht sich eins.«
Er benahm sich wie ein Idiot, doch die Männer liebten ihn für seine Tollkühnheit. Benito wäre gern tiefer ins Dickicht vorgestoßen, aber er versuchte sich damit zu beruhigen, dass Romero das Gras wachsen hörte. »Heute Nacht musst du uns deine Geheimnisse flüstern«, johlte er. »Ich wette, unser junger Freund hier spitzt da auch gern die Ohren.« Er klatschte Guerrero auf den Rücken und goss ihm Wein ein, dass der Becher überlief. Der Junge errötete vor Stolz bis in die picklige Stirn.
Sie waren zu laut, und der Feind war zu nah. Als Benito zu dem Entschluss kam, sich nicht länger etwas schönzureden, sondern Romero zur Vernunft zu bringen, war es zu spät. Sie erkannten, dass die leisen Hufschläge unmöglich von den eigenen Pferden stammen konnten, als die Soldaten schon aus den Sätteln sprangen und mit Bajonetten die Zweige auseinanderhieben. Flüchtig sah Benito das Gesicht des blonden Mannes, das im Zwielicht milchweiß erschien.
Panik brach aus. Die Männer versuchten in alle Richtungen zu fliehen, standen einander im Weg, liefen den Gegnern in die Arme. Zu den Pferden, dachte Benito. Eine andere Chance gab es nicht. Die im Gelände geübten Tiere mochten in der Lage sein, sich in Richtung Gipfel aus dem Wald zu schlagen und zu entkommen. Grob stieß er zwei Männer auf das Gebüsch zu. Im nächsten Augenblick krachte ein Schuss durchs Gehölz. In seinem Rücken hörte Benito, wie der junge Guerrero schrie.
Er fuhr herum und sah im Licht des lodernden Feuers, dass der Junge sich die Schulter hielt. Daran würde er nicht sterben. Benito ergriff seinen unverletzten Arm und riss ihn mit sich. Als der Junge sich widersetzte, schlug er ihn.
Um Guerreros Braunen zu finden, blieb keine Zeit. Die Österreicher hatten das Versteck der Pferde entdeckt, und die ersten feuerten in ihre Richtung. Im Nu hallte der Wald von Schüssen wider. Benito hievte sich mit dem Jungen auf die Stute und schloss die Schenkel um ihren Leib. Das Tier vollführte einen Satz nach vorn, dann eine scharfe Wendung nach links, um einem Stamm auszuweichen. Benito verlagerte sein Gewicht und trieb sie weiter, während ihm Zweige ins Gesicht klatschten. Furcht packte ihn im Nacken, peitschte ihm ins Hirn, dass er sterben würde, wenn er nicht entkam. Ein Geschoss sauste an seinem Hals vorbei. Er duckte sich, drückte Guerrero nieder, sprach in einem Atemzug tausend Schwüre. Wenn ich am Leben bleibe, gehe ich zu dir, küsse dich und sage: Schick jeden anderen weg. Du bist mein.
Als die Stute sich vor dem Kamm aus dem Wald kämpfte, war das letzte Abendlicht verloschen. Benito sprang ab, führte das Tier mit Guerrero hinüber und auf der anderen Seite in eine Senke. Der Himmel mochte wissen, wie sie wieder ins Tal gelangen sollten, doch das war derzeit seine kleinste Sorge. Als er dem verletzten Guerrero vom Pferd helfen wollte, schrie dieser zornig auf und schlug ihm die Faust ins Gesicht. Ehe er vor Wut erneut aufschreien konnte, hatte Benito ihm die Hand auf den Mund gepresst.
»Wenn du nicht freiwillig still bist, werde ich dich zwingen«, flüsterte er ihm zu. In den geweiteten Augen des Jungen sah er Furcht, Schmerz und Zorn durcheinandertoben. Er gab seinen Mund frei und half ihm, sich niederzusetzen. »Comandante Romero«, stieß Guerrero stimmlos heraus. »Ich habe ihn im Stich gelassen. Du hast mich zum Feigling gemacht! Er saß ganz vorn, er hat es unmöglich zu den Pferden geschafft.«
»Nein«, erwiderte Benito, »das hat er nicht. Aber wir sind Guerilleros, keine Admirale der Handelsmarine. Wenn die Lage aussichtslos ist, muss jeder sich selbst der Nächste sein und fliehen, oder wir haben bald keinen mehr, der kämpfen kann. Jetzt versuch dich auszuruhen. Ich sehe nach, ob die Österreicher abgezogen sind.«
Die Augen des Jungen schwammen. Flüchtig strich Benito ihm verschwitztes Haar aus der Stirn, dann gab er ihm die Zügel des Pferdes und ging.
Von Deckung zu Deckung kroch er bis an den Waldsaum. Stille, Kühle und Einsamkeit taten ihm gut, beruhigten seinen Herzschlag und die fliegenden Lungen. Gut zwei Stunden lang suchte er das Gelände ab, ehe er sicher war, dass die Männer abgezogen waren. Das mochte ihnen das Leben retten, für Romero aber war es das denkbar schlechteste
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