Im Land der gefiederten Schlange
dann habt ihr’s geschafft. Und auf der Hochzeit von der Medica tanzt du, verstanden? Ist dein Affenschnäuzchen aus Querétaro auch da? Sag mir noch einmal ihren Heidennamen.«
»Ichtaca.«
»Und was soll das heißen?«
»Geheimnis«, antwortete Benito, ehe der Wächter kam und ihm barsch befahl zu gehen.
Benito hatte einen so großen Prozess noch nie verloren. Dass es keine Chance auf einen Sieg gab, war ihm klar gewesen, denn Romeros Tod stand fest, ehe der Gerichtssaal die Türen öffnete. Er tat, was er sich vorgenommen hatte – dem Gericht darlegen, dass die Gefangenen keine Straftäter waren, sondern innerhalb eines für sie gültigen Rechts gehandelt hatten. »Es lebe das freie Mexiko«, rief Romero in den Saal und durch die geöffneten Fenster hinaus auf die Straße, wo Scharen von Menschen sich eingefunden hatten. Die vier Männer, die mit Romero ergriffen worden waren, erhielten lediglich kurze Haftstrafen und würden gegen französische Gefangene ausgetauscht werden. Romero aber wurde zum Tode verurteilt. Als zwei Wächter ihn gefesselt hinausführten, jubelten die Massen ihm zu.
Gegen das niederschmetternde Gefühl, versagt zu haben, konnte Benito sich nicht wehren. Auch die von fünftausend Menschen unterzeichnete Petition würde Romero nicht retten, nur einmal mehr dem Habsburger vor Augen führen, dass er in Mexiko keinen Platz hatte. Ihm blieb nichts zu tun, als sein Versprechen einzulösen und zu Romeros Hinrichtung zu gehen.
Romero wurde an einem diesigen Frühlingsmorgen auf der Plazuela de Mizcalco öffentlich erschossen. Die Garnison der Stadt war in Alarm versetzt, weil Gerüchte kreisten, die Menge würde versuchen ihren Helden zu befreien. Die Menge versuchte nichts dergleichen, aber sie johlte auch nicht, als Soldaten den Verurteilten vor die Wand führten, sondern stand schweigend still.
Bei jener anderen Hinrichtung, deren Bilder unweigerlich vor Benito aufstiegen, hatten die Versammelten gejohlt. Der Todeskandidat hatte ein zerlumptes Hemd getragen wie Romero, aber sein Gesicht war zerschlagen gewesen, ein Auge verschwollen, die Lippen aufgeplatzt, auf der Wange getrocknetes Blut. Mörder, hatten die Zuschauer geschrien. Hängt den Mörder auf! In Spanisch? In Nahuatl? In Deutsch? Benito hatte nichts begriffen und nur eines gewusst: Er hatte den Mann geliebt, und dass er stillhalten musste, derweil Beamte des Staates ihm das Leben nahmen, konnte unmöglich recht sein.
Romeros Gesicht war unversehrt. Er wirkte nur müde, zermürbt von Todesangst. Benito sah, wie das Erschießungskommando Aufstellung nahm, die Gewehre lud und zielte. Bis zum Schluss, bis die Schüsse krachten, konnte er sich nicht vorstellen, dass sie schießen würden, einem Wehrlosen in die geöffneten Augen. Romero gab einen heulenden Laut von sich und rutschte die Wand hinunter zu Boden. Blut strömte ihm aus Wunden in Brust und Schultern, aber er hielt sich auf den Knien, stürzte nicht zur Seite und hörte nicht auf, hoch und dünn zu heulen. »Verdammt, schießt den Mann tot!«, schrie Benito und sprang über die Absperrung.
Der Kommandant des Erschießungskommandos drehte sich um und verzog süffisant den Mund. »Möchten Sie uns vielleicht behilflich sein, Señor Abogado?«
Alles besser als zusehen, hämmerte es in Benitos Schädel. Alles besser als zusehen. Er zog die Perkussionspistole aus der Innentasche seines Rocks, lud sie, ohne sie anzuschauen, und ging zu Romero, der vor Schmerzen wimmerte und dem Blut aus dem Mund rann. »Señor Comandante«, sagte er leise. »Hier ist Benito Alvarez. Ihr Skunk. Ich bin gekommen, um Sie zu erschießen.«
Er legte dem Mann die Mündung in den Nacken, sah dabei nur in sein Gesicht und drückte ab. Danach ging er unverzüglich in seine Wohnung, zog sich um und ritt zur Kathedrale, wo Martina und Felix getraut wurden.
46
Ihr Leben hatte sich von Grund auf gewandelt, seit Valentin es betreten hatte. Wenn sie sich im Spiegel betrachtete, die schimmernde Haut des Dekolletés, das Kleid aus weinroter Seide und das goldene Halsband, schien von der unbedarften Lehrerin Kathi Lutenburg nichts mehr übrig zu sein. Als hätte der ungewohnte Schnürleib ihr die Vergangenheit abgepresst wie ungewolltes Fleisch. Die Frau, die ihr entgegensah, war eine andere. Eine Frau, die geliebt wurde. Sie musste Valentin hindern, weiter so viel Geld für sie auszugeben, aber bisher hatte sie es nur halbherzig versucht. Insgeheim war sie süchtig nach Valentins Aufmerksamkeit, nach
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