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Im Land der gefiederten Schlange

Im Land der gefiederten Schlange

Titel: Im Land der gefiederten Schlange Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: carmen lobato
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Zeichen. Unverzüglich kehrte er zu Guerrero zurück. Der Junge war in Schlaf gefallen, sein Gesicht war nass von Tränen, und die Ränder um die Wunde fühlten sich heiß an. Sie mussten schnellstmöglich eine Klinge erhitzen und die Kugel entfernen, aber so nah am Lager des Gegners war das Risiko, dass Guerrero schrie, zu groß. Benito weckte ihn, half ihm wieder aufs Pferd und führte es nach der anderen Seite aus der Senke.
    Der Abstieg war mühsam, und mehr als einmal wünschte Benito, das Vollblut ließe sich in ein Maultier verwandeln. Endlich aber erreichten sie einen Pfad, der geschützt genug erschien, um ins Tal der Avocadobäume zurückzureiten. Vor Morgengrauen erreichten sie ihr Lager, und wenige Stunden später trafen drei weitere Überlebende ein. Zwei waren ebenfalls zu Pferd geflohen, ein anderer hatte wie Romero sein Heil in der Krone eines Baums gesucht. In der Höhe hatte er ausharren können, bis die Österreicher mit ihren Gefangenen abgezogen waren. Romero allerdings hatte kein solches Glück gehabt. »Irgendein verdammter Vogel ist aufgeflattert. Einer von den Maxen hat geschossen – und statt dem Gefiederten fiel ihm Romero vor die Füße. Sie haben ihn zu dritt gebändigt und abgeführt«, beendete der Mann seinen Bericht. »Und was sollen wir jetzt tun? Haben wir genug Leute, um das Lager zu überfallen?«
    Aller Blicke schienen sich auf Benito zu richten. Er schüttelte den Kopf. »Das wäre Selbstmord. Und außerdem nutzlos. Sie schaffen ihn nicht in ihr Lager.«
    »Wohin dann?«
    »In die Hauptstadt.« Benito zog der Stute den Sattelgurt wieder fest und ging zum Wasserkanister, um seine Flaschen aufzufüllen.
    »Was machst du?«, fragte Guerrero.
    »Ich reite hinterher. Wenn sie Romero vor ein Kriegsgericht stellen, hat er das Anrecht auf einen Verteidiger.«
    Guerrero packte ihn am Arm. Jemand musste sich um seine Wunde kümmern. Er war kreidebleich, und seine Zähne klapperten. »Bekommst du ihn frei?«, fragte er.
    »Nein«, erwiderte Benito. »Wir können nicht mehr tun, als zu erklären, dass Romero gegen Mexikos Gesetz nicht verstoßen hat.«
    Das Unterfangen war gewagt. Seit langem musste er damit rechnen, dass sein Doppelleben aufflog, und zudem war möglich, dass er bei Zitacuaro gesehen worden war, wie er den schönen Blonden bemerkt hatte. Dennoch konnten sie Romero nicht ohne Verteidigung seinem Schicksal überlassen, als hätten sie bereits klein beigegeben.
    Der Comandante war ins Martinica-Gefängnis verbracht worden, das vor politischen Gefangenen überquoll. Als sein Anwalt durfte Benito ihn in seiner Zelle besuchen. Er schien außer sich vor Freude, einen Menschen zu sehen, und konnte die Angst kaum verhehlen. Es war ein Leichtes zu behaupten, man wolle für Mexiko sterben, Behauptungen hatten mit Sterben nichts zu tun. Benito erklärte ihm, wie er seine Verteidigung aufbauen wollte. Er würde darlegen, dass Romero von seinem Standpunkt aus keine Straftat begangen, sondern im Auftrag der Regierung von Mexiko gehandelt habe und dass er dafür nicht verurteilt werden dürfe.
    »Damit riskierst du deinen Hals, was, Brauner?«, fragte Romero.
    »Ich denke nicht. Der Prozess zieht viel Öffentlichkeit auf sich, und Maximilian legt Wert darauf, als milder Landesvater aufzutreten, nicht als Despot. Anwälte wird man nicht so leicht los wie Guerilleros. Mir droht nicht mehr als eine Verwarnung.«
    Romero grinste und zupfte ihn am Revers. »Das ist vielleicht spaßig, dich in so feinem Zwirn zu sehen. Nicht zu glauben, dass die euch an die Universitäten lassen.«
    »Ich kann versuchen Ihnen einen anderen Anwalt zu besorgen«, sagte Benito. »Nur haben wir nicht mehr viel Zeit.«
    »Wozu soll ich einen anderen verdammten Anwalt wollen? Ich wette, du bist der beste. Nur nützt mir das auch nichts mehr, was?«
    »Ich fürchte, nein.« Seine Stimme klang gepresst.
    »Mach dir nichts draus, Brauner. Nimm’s dir nicht zu Herzen«, brummte Romero. »Wichtig ist, dass Romero auf dieser Farce von einer Verhandlung noch einmal auf den Putz hauen kann. Dass wir denen vorführen: Auf euer Gericht von Maxen pfeifen wir, und mit dem Urteil wischen wir uns unsere prächtigen Hintern.« Sein Gelächter stockte und brach ab. »Sagst du denen, die sollen mich wie einen Soldaten erschießen, nicht hängen wie einen Dieb? Und bist du ein tapferer Junge und kommst zu meiner Hinrichtung?« Benito nickte, und Romero grinste. »Ihr werdet auch ohne mich fertig. Haltet aus, bis die Gringos kommen,

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