Im Land der gefiederten Schlange
wenn es möglich ist, und mit ihrer Familie sollte auch jemand sprechen. Gebt nicht auf, selbst wenn sie nicht antwortet. Lasst sie wissen, dass Gruber nicht der einzige Mensch ist, den sie auf der Welt besitzt.«
»Ich kann noch immer nicht fassen, dass sie dich besitzt«, sagte Martina. »Das ist doch alles hundert Jahre und tausend schöne Frauen lang her.«
»Mich braucht sie nicht«, entgegnete Benito. »Aber ihre Freunde braucht sie.«
»Sag’s mir trotzdem«, befahl sie. »Ich verspreche dir, wir schreiben Briefe ohne Ende, mein Vater kampiert in Kathis Garten, wenn du willst, aber du musst mir sagen, wie das möglich ist, wie ein Mann, der Herzen wie Streichbeine bricht, fünfzehn Jahre lang ein Mädchen lieben kann, das er zum letzten Mal geküsst hat, als er noch feucht hinter den Ohren war.«
»Ich muss dir gar nichts sagen«, widersetzte er sich. »Hör auf, mich zu erpressen, Martina. Um Katharina wirst du dich kümmern, weil du ihre Freundin bist.«
Sie seufzte tief auf. »Dann sagst du’s mir eben, weil du mein Freund bist. Und weil ich sterbe, wenn ich’s nicht erfahre! Also heraus mit der Sprache – warum?«
»Herrgott, weil es schön war, feucht hinter den Ohren zu sein. Weil sie mir das beigebracht hat: dass wir so verdorben und zynisch und unverwundbar, wie wir uns geben, gar nicht sind. Dass man die Welt sehr lieben muss, ehe man sich anmaßt, sie zu ändern. Dass mein blöder Stolz nichts zum Liebhaben ist, dass man, statt die Zähne zu fletschen, auch lachen kann, wenn man sich wie ein Idiot benimmt, und dass mein Schlangengott kleinlich ist, wenn er sich an uns rächt. Weil sie den größten Mund hat, den ich je bei einer Frau gesehen habe, und weil sie zwei Hälften hat wie der dreizehnte Himmel, wie das Götterpaar Ometeotl und wie mein verrücktes Land Mexiko. Weil sie vor Neugier birst und beim Reden sprudelt wie der Popocatepetl, weil die Weite in ihrem Kopf in keine kaiserliche Hutschachtel passt und weil jeder Mann gepeitscht gehört, der beim Wein die Geheimnisse einer anbetungswürdigen Frau ausschwatzt.«
Felix und Stefan tauschten einen Blick. Benito wandte sich ab, der Brüstung und der nächtlichen Stadt zu. Martina ging zu ihm und legte den Arm um seine Mitte. »Du hast ja gar keinen Wein getrunken«, sagte sie. »Weißt du was, mein Süßer? Und wenn du hundertmal aus dem finstersten Busch von Querétaro stammst, du gehörst in einen europäischen Ritterroman. Sobald meine Freundin Katharina zur Vernunft gekommen ist, muss ich sie fragen, was sie den Männern einflößt. Was ist mit dir, Stefan? Willst du nicht auch noch ein Hohelied der Liebe auf sie singen?«
Ja, ich will auch, dachte Stefan. Einmal nicht neidisch und bewundernd dabeistehen, sondern mir selbst ein Herz fassen. Er nahm Felix die Weinflasche ab und trank. »Nein«, sagte er. »Ich singe kein Lied auf Kathi. Ich wollte sie heiraten, weil sie mir näher steht als meine eigene Schwester – und weil ich endlich dazugehören wollte. So sein wie andere. Und ein Kind haben. Aber dazu hatte ich kein Recht. Sie und Kathi haben einander gutgetan, Benito – so sehr, dass man es heute noch spürt. Das ist die Art von Liebe, die jeder Mensch verdient, und ich hätte Kathi so nie lieben können. Ich gehöre auch in einen Ritterroman, denn ich liebe auch mein Leben lang denselben Menschen. Nur wird mir dafür niemand Beifall spenden. Ich kann keine Frauen lieben, nur Männer. Der Mann, der es mir gezeigt hat, mein Lehrer August Messerschmidt, hat sich deswegen getötet, und ich habe meinen Liebsten, George Temperley, übers Meer geschickt. Dennoch wollte ich es einmal aussprechen. Auch wenn euch jetzt vor mir graut und ihr nicht wollt, dass ich Tomás’ Pate bleibe.«
Sie würden ihn aus dem Haus jagen. Wie sich der schöne, vor Männlichkeit strotzende Aztekensohn vor ihm ekeln würde, konnte er sich lebhaft vorstellen, und doch fühlte sich jedes Wort, das er gesagt hatte, richtig an. In der Stille hörte er sein Herz schlagen und war zum ersten Mal zufrieden mit sich.
»Es lebe die freie Republik Mexiko«, sagte Martina. »Wie es aussieht, passt keiner von uns so richtig in eine kaiserliche Hutschachtel.«
Felix ließ seine Hand auf Stefans Schulter plumpsen. »Junge, Junge. Ein Zuckerschlecken kann das nicht gewesen sein, schon gar nicht bei Tante Traude.«
»Ich hätte es machen sollen wie du«, murmelte Stefan. »Die Familie verlassen. Um das, was ich wollte, kämpfen. Aber ich habe den Mut dazu
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