Im Land der gefiederten Schlange
Mal, wenn Martina mir die Pistole auf die Brust setzt und mich zwingt, durch halb Mexiko zu ihren Partys zu reiten, denke ich: Heilige Mutter von Guadelupe, erlöse mich von der Tyrannei dieser Partys. Und jedes Mal hinterher denke ich: Heilige Mutter, hab Dank für solchen Segen. Dann frage ich mich, wie die Leute durchhalten, die keine Martina samt ihren Partys haben.«
Stefan musste lachen. »Sie haben recht. Das Gewimmel in diesem komischen Haus wärmt von innen. Was ich vorhin gesagt habe, tut mir leid, Benito. Es tut mir von Herzen leid.«
Ein Lächeln flog über das dunkle Gesicht. »Das genügt mir nicht. Ich will, dass Sie mir helfen.«
»Wie soll denn ich Ihnen helfen können?«
»Katharina«, erwiderte Benito, diesmal ohne zu lächeln. »Ich muss heute Nacht zurück und meine Einheit in Marsch setzen. Wir werden der regulären Armee zugeführt, und ich weiß nicht, ob ich noch einmal wiederkommen kann, ehe der Krieg zu Ende ist. Sie müssen mir schreiben, wie es Katharina geht. Geben Sie den Brief Martina, sie findet einen Weg, ihn zu bestellen. Und schreiben Sie Katharina. Lassen Sie sie wissen, dass Sie zur Stelle sind, wenn sie Hilfe braucht, dass sie im Notfall bei ihrer Familie in Sicherheit ist und dass sie Ihnen fehlt.«
Erst jetzt wurde Stefan bewusst, was sein Gegenüber vorhin gesagt hatte: Ich liebe eine Frau, die mich nicht will. »Sie sind verrückt!«, rief er. »Sie können doch nicht nach allem, was sie Ihnen angetan hat, noch immer Katharina lieben!«
»In der Tat!«, rief jemand, ehe Benito zu einer Antwort kam. Die beiden Männer fuhren herum und fanden sich Martina gegenüber, die mit einer Flasche in der Hand und Felix im Gefolge auf das Dach stürmte. »Verrückt ist überhaupt kein Ausdruck! Benutzt du deinen hübschen Kopf eigentlich manchmal zum Denken? Ich bin kein empfindsames Mädchen, aber selbst ich habe mir die Augen ausgeweint, als ich begreifen musste, wozu meine liebste Freundin fähig ist. Sie stand in schönstem Gleichmut neben ihrem Kaiserjünger und sah zu, wie dessen Folterknecht dir die Haut vom Rücken schälte. Hast du das vergessen, mein Bester? Bist du, sobald ich dich zusammengeflickt hatte, wieder losgerannt und hast ihr die Füße geküsst?«
Benito sprang auf. Sein ganzer Körper schien vor Zorn zu beben, und seinen Augen musste Stefan ausweichen. »Nicht ich bin verrückt, sondern ihr«, sagte er mit einer Stimme wie Stahl. »Hat einer von euch auch nur die geringste Ahnung von Katharina? Ich dachte, ihr seid ihre Freunde – und ihr seid allen Ernstes in der Lage, so von ihr zu denken?«
»Ja, was denn sonst, Muchacho?« Felix spreizte hilflos die Arme.
Benito schoss herum, als wollte er auf ihn losgehen. »Vielleicht hättet ihr mich fragen sollen, wenn ihr es nicht besser wisst. Ich war überzeugt, ihr kennt Katharina. Mir wäre nicht im Traum eingefallen, dass ihr Erklärungen braucht.«
»Bist du so reizend, sie uns trotzdem zu geben?«
»Katharina hat mir das Leben gerettet«, sagte Benito. »Ich habe mich wie ein Idiot benommen und wäre um ein Haar dafür gehängt worden – und drei Mann durch meine Schuld gleich mit. Was ich Katharina eingebrockt habe, möchte ich lieber nicht wissen, vermutlich etwas, das länger brennt als hundert Peitschenhiebe. Sie hat Gruber dazu bewegt, das Urteil zu mildern. Und dafür ächtet ihr sie? Dafür lasst ihr sie völlig allein auf einem Pulverfass sitzen, das über Nacht in die Luft gehen kann? Braucht einer, der euch zu Freunden hat, eigentlich noch Feinde?«
Martina rannte mit der Flasche auf ihn zu und wollte sie ihm an die Lippen halten, er aber stieß sie beiseite. »Bleib mir vom Leib mit deinen Zaubertränken. Vielleicht wäre es ja ab und an von Nutzen, einen klaren Kopf zu bewahren.«
Es war das erste Mal, dass Stefan sah, wie dieser Mann die Beherrschung verlor, und am liebsten hätte er ihm Beifall geklatscht.
»Jetzt ist es genug, ja?«, sagte Martina. »Du hast uns den Marsch geblasen, und jetzt beruhigst du dich wieder, und wir überlegen, was wir tun können, bien?«
»Bien«, erwiderte Benito leise und senkte den Kopf.
Martina bot ihm noch einmal die Flasche an. Als er abwehrte, trank sie selbst und reichte sie an Felix weiter. »Wo wohnt denn Katharina jetzt?«, fragte sie. »Noch in Chapultepec? Willst du, dass wir da hinfahren?«
Benito schüttelte den Kopf. »Das würde ihre Lage womöglich verschlimmern. Schreibt ihr Briefe. Vielleicht könnte dein Vater sie einmal besuchen,
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