Im Land der gefiederten Schlange
den köstlichen Speisen bekam er kaum etwas hinunter, vom schweren Port trank er zu viel, und mitten im Walzer riss er sich aus ihren Armen los. »Ich habe mit Oberst López etwas zu bereden. Entschuldige mich.«
Allein kehrte Katharina an ihren Tisch zurück. Jäh schien es ihr, als würden sich aller Blicke – in Häme oder Mitleid – auf sie richten. Vor ihr lag ein Abend in der Hölle. Kein Mensch würde sich auf ein paar Worte zu ihr setzen, und noch weniger würde jemand sie zum Tanz auffordern. Persona non grata, das war sie. Keine Gattin, nicht einmal eine Verlobte, sondern eine Geliebte, die in Sünde lebte – noch dazu eine, von der niemand wusste, woher sie eigentlich stammte. Geduldet, solange sie an Valentins Arm ging, doch allein nur ein Anlass, um sich die Mäuler zu zerreißen. Katharina straffte den Rücken. Sie würde hier sitzen bleiben, den Kopf erhoben tragen und so tun, als würde sie weder die Blicke noch das Tuscheln bemerken. Als würde sie die Einsamkeit nicht quälen. Als würde sie sich nicht nach Menschen sehnen.
Und dann kam doch jemand zu ihr, verbeugte sich und bat sie förmlich um den Tanz, jedoch mit einem Schmunzeln in der Stimme, das sie kannte. Claudius von Schweinitz. Dankbar sprang sie auf und ließ sich von ihm in einen langsamen Walzer führen.
Krampfhaft suchte sie nach etwas, das sie sagen konnte, doch wenn man so viele Tage ohne ein Gespräch verbrachte, schien die Sprache zu versiegen. Hatte man sie daheim nicht Plappermaul genannt? »Ich habe Sie hier noch nie gesehen«, war schließlich alles, was ihr einfiel.
Claudius von Schweinitz lachte. »Das ist kein Wunder. Ich bin ja auch nur Ihretwegen hier.«
»Meinetwegen?«
»Nun, nachdem meine Tochter auf keinen ihrer Briefe Antwort erhielt und mein Versuch, Sie zu besuchen, an Ihrem zweibeinigen Wachhund scheiterte, beschloss ich, dieser Einladung Folge zu leisten, in der Hoffnung, Ihnen hier zu begegnen. Und voilà – da saßen Sie auch schon vor mir. Die bezauberndste Dame des Abends und noch ohne Tänzer. Das nenne ich Glück.«
Briefe? Martina hatte ihr Briefe geschrieben? Und weshalb hatte der Sepp ihr den Besuch nicht gemeldet? So weit konnte doch Valentin nicht gehen – der Baron genoss in der Stadt einen tadellosen Ruf.
»Habe ich etwas Falsches gesagt?«, erkundigte er sich.
»Nein, wirklich nicht«, antwortete sie hastig. »Ich habe nur … Ich habe gar keine Briefe bekommen.«
»Tatsächlich nicht? Wie merkwürdig. Nicht nur meine Tochter hat Ihnen geschrieben, auch mein Schwiegersohn, Ihr Vetter Stefan und die kleine Felice.«
Martina hatte ihr geschrieben! Felix, Stefan und Felice hatten ihr geschrieben! Vor Freude hätte sie den Baron beinahe umarmt. Was mit den Briefen geschehen war, beschäftigte sie nicht. Nur eines zählte – für ihre Freunde war sie keine Persona non grata, trotz ihres Verrats, trotz ihrer furchtbaren Tat.
»Ist Ihnen nicht wohl?« Der Baron blieb in der Drehung stehen. Katharina war froh. Sie fühlte sich schwindlig und verspürte das dringende Bedürfnis, sich zu setzen. »Kommen Sie. Beim Walzer lässt sich ohnehin schlecht schwatzen.« Fürsorglich geleitete er sie an den Tisch, setzte sich ihr gegenüber und musterte sie. »Ich soll Ihnen Grüße ausrichten«, sagte er und zwinkerte ihr aufmunternd zu. »Martina fragt, ob Sie sie nicht endlich besuchen und den kleinen Tomás kennenlernen wollen? Mein Enkel feiert ja bald schon seinen ersten Geburtstag. Wie es aussieht, wird er in die Fußstapfen seines Vaters treten – im ganzen Haus gibt es keine Wand, die nicht mit Farbe beschmiert ist.«
Am liebsten hätte Katharina ihn gebeten, sie auf der Stelle zu Martina zu fahren. Wie ein Hieb traf sie die Erkenntnis, dass das nicht möglich war. Dass die Briefe nicht grundlos verschwunden waren und dass sie die Wandmalereien des kleinen Tomás nie würde sehen dürfen. »Ich kann nicht«, murmelte sie.
»Ist das Ihr letztes Wort?«, fragte er. »Uns allen fehlen Sie sehr.«
»Ich weiß nicht, warum«, entfuhr es ihr. »Sie müssen mich hassen – Sie alle wissen doch, was ich getan habe.«
Der Baron lächelte. »Es war vielleicht anfangs nicht so einfach, das zu wissen. Aber Sie haben ja einen leidenschaftlichen Fürsprecher, der nichts auf Ihnen sitzenlässt. Ich glaube, Ihre Freunde würden sich gern für ihr vorschnelles Urteil entschuldigen, doch dazu müssten Sie ihnen die Gelegenheit geben.«
Was redete er? Ihre Freunde wollten sich bei ihr
Weitere Kostenlose Bücher