Im Land der gefiederten Schlange
er jetzt nie mehr anders als von Max. Als wäre der Kaiser sein Schützling. Und du bist meiner, dachte Katharina und wiegte ihn, bis er einschlief. Seine Qual zerriss ihr das Herz.
Von der Reise der Kaiserin war Valentin alles andere als angetan. Gegen den Willen ihres Mannes hatte Charlotte ihren Plan durchgesetzt. »Sollte eine Frau nicht an der Seite ihres Mannes stehen? Weiß sie, was sie Max damit antut, dass sie seine Entscheidung übergeht und sich als Bettlerin an Frankreichs Hof erniedrigt?«
»Nimmst du dir diese Dinge nicht zu sehr zu Herzen?«, wagte Katharina einmal zu fragen. »Darin, wie er seine Ehe führt, kannst du dem Kaiser doch nicht helfen. Weißt du, was ich denke? Wir beide sollten irgendwo hinfahren, wie es so viele Offiziere mit ihren Frauen tun. Nur ein paar Tage zur Erholung, Liebster. Damit du auf andere Gedanken kommst.«
»Zur Erholung?«, hatte er sie angeschrien. »Auf andere Gedanken soll ich kommen, während man Max in diesem vom Satan beseelten Land das Wasser abgräbt?«
Wann immer er so auf sie losging, tat es ihm hinterher leid. Er überschüttete sie mit Geschenken und Liebesworten und schwor, es sei die zermürbende Lage, die ihn um die Beherrschung bringe. Sie ließ ihn gewähren. Ihre Angst um ihn wuchs. Der Kaiser war krank und musste sich von Tee und Haferschleim ernähren, und Valentin kam ihr nicht minder krank vor, obwohl er weiterhin mit ihr trank.
Anfang September überschlugen sich Nachrichten von den Misserfolgen der Kaiserin. Napoleon hatte sie kaltschnäuzig abgewiesen. Zu Beginn des neuen Jahres würden die letzten französischen Soldaten Mexiko verlassen. Auch finanziell könne Frankreich den maroden Staatshaushalt nicht länger stützen. »Weißt du, was er Max anrät?«, schrie Valentin. »Er rät ihm, abzudanken! Die begonnene Aufgabe hinzuwerfen und als Gescheiterter zurück nach Miramar zu gehen!«
»Und was sagt der Kaiser dazu?«
»Was soll er dazu sagen? Er ist ein Habsburger. Nie und nimmer wäre er zu solcher Feigheit fähig.«
Beim Papst in Rom erreichte Charlotte ebenfalls nichts, und ihrem Bruder und Schwager in Belgien und Österreich war sie nicht willkommen. »Eines hat diese vermaledeite Reise immerhin gezeigt. Wir sind auf uns gestellt. Aus eigener Kraft müssen wir das Ruder herumreißen, indem wir über uns hinauswachsen. Wie der Stierkämpfer, weißt du noch? In der letzten entscheidenden Runde haben alle Helfer ihn verlassen, und er ist allein mit der Bestie. Kein Mensch kann einen wilden Stier ohne Hilfe bezwingen, nimmt man an – aber der Matador vollbringt das Wunder, weil er sich Übermenschliches abverlangt.«
In der letzten Runde war doch der Stier schon halb tot, hätte Katharina um ein Haar eingewendet, aber sie besann sich gerade noch. Er fachte ihre Angst an, wenn er so sprach. Was geschah mit einem Menschen, der Übermenschliches von sich verlangte und mit seinen Kräften nicht haushielt?
Am 16 . September, dem Unabhängigkeitstag Mexikos, ließ der Kaiser ein Volksfest feiern. Vom Balkon des Palacio Nacional hielt er eine Rede, die klang, als hätte Valentin sie ihm geschrieben. »Wenn unser Reich auch Stürme erschüttern, so wollen wir unsere Pflicht doch gegen keine andere tauschen. In Gefahr die Flucht zu ergreifen, ist dem Herzen eines Habsburgers fremd.«
Es ist so seltsam, dachte Katharina, dass Worte so gewichtig sein können und doch immer noch hohl klingen. An früheren Unabhängigkeitstagen hatten die Leute in den Straßen ihre sinnlichen Tänze, ihre Maskenspiele, ihre würzigen Speisen und ihren Pulque genossen, bis Ordnungshüter sie zurück in ihre Häuser scheuchten. Die kaiserlich verordnete Feier hingegen blieb gedämpft und schlecht besucht. Gespannte Stille herrschte, als läge die Stadt auf der Lauer und würde warten. Die Gesellschaft des Kaisers, darunter Katharina und Valentin, fuhr auf direktem Weg zurück nach Chapultepec, wo im Festsaal einer der selten gewordenen Bälle stattfand.
Auf den Ball hatte sie sich gefreut. Der Saal, den der Kaiser sich neu hatte ausstatten lassen, wirkte mit seinen Säulen und Deckengemälden, den Stuckverzierungen und den gleißenden Lüstern wie einer Märchenwelt entsprungen. Habsburg unter Zypressen nannten die österreichischen Angehörigen des Hofes den Palast unter sich. Es war ein eigenes Reich, fern von den Nöten der Wirklichkeit, vielleicht der letzte Ort, an dem es Valentin gelang, sich im Tanz mit ihr zu entspannen.
Nicht so an diesem Abend. Von
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