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Im Land der gefiederten Schlange

Im Land der gefiederten Schlange

Titel: Im Land der gefiederten Schlange Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: carmen lobato
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Christoph fort. »Sie würden uns mit ihren Macheten die Hälse durchschneiden, wenn Onkel Sievert nicht zahlte. Onkel Sievert zahlte nicht. Er hatte selbst nichts, und außerdem glaubte er von der Geschichte kein Wort. Damals waren solche Entführungen gang und gäbe, aber er wusste schließlich nicht einmal, dass seine Nichten und sein Neffe sich in Veracruz befanden.«
    »Hattet ihr Angst, ihr würdet sterben?«, fragte Inga.
    Christoph schluckte. An das Gefühl, den knochentrockenen Gaumen, erinnerte er sich bis heute. »Ich glaube, wir hatten so viel Angst, dass wir keine Angst mehr hatten«, antwortete er. »Dass wir nichts mehr fühlten und auch nichts Klares mehr dachten. Ergibt das einen Sinn? Die Männer waren alle klein, nur der Anführer war ein großer Kerl mit unglaublich eleganten Händen. In diesen Händen hat er die Machete gehalten und zu Vera gesagt, dass er noch einen Tag wartet. Danach schnitte er jeden Tag einem von uns mit der Machete durch den Hals.«
    »Aber das hat er nicht getan.«
    »Nein. Am nächsten Morgen kam ja der andere Mann. Der Freund des Anführers.«
    »Vicente«, sagte Inga.
    Jahrzehntelang hatte er den Namen nicht mehr gesprochen gehört. Für ein paar Herzschläge schwiegen sie, wie zum Gedenken.
    »Er hat die anderen bewegt, euch gehen zu lassen?«, fragte Inga dann.
    Christoph nickte. »Vera hat später gesagt, sie hätten uns ohnehin gehen lassen. Sie hatten Hunger. Sie waren aus irgendeinem Bergland mit viel Wald gekommen, um im Hafen Arbeit zu finden, aber es gab ja keine, und sie hatten einen Haufen kleiner Kinder. Sie waren keine Mörder, hatte Vicente zu Vera gesagt, aber für Marthe und mich war das Gerede ohne Bedeutung. Der Anführer hatte mir doch die Machete gezeigt und mir gesagt, ich sei am nächsten Morgen tot. Wie kann sie sagen, es sind keine Mörder?, habe ich gedacht. Verstehst du das?«
    »Ja«, antwortete Inga. »An deiner Stelle hätte ich genauso gedacht.«
    Er wollte nicht weitersprechen. Er wollte, dass sie die Arme um ihn legte, wie sie es getan hatte, als sie jung waren, sooft ihn die Träume aus dem Schlaf rissen. »Alles, was wir danach taten«, begann er mühsam, »war, als täten es nicht wir. Als handelte die Angst für uns. Marthe, die sich in Peter verliebte, die überzeugt war, sie müsse sterben, wenn sie nicht Peter bekam. In der Heimat war Marthe das vernünftigste Geschöpf, das herumlief, aber dort, in der Fremde, verlor sie den Verstand. Wir mussten uns an etwas festklammern. An der Familie. An Peter Lutenburg. An irgendetwas, um nicht ohne Halt in diesem Meer aus Angst zu treiben.«
    »Ich verstehe«, sagte Inga. »Deshalb musste Marthe um jeden Preis Peter haben, und dass der ihre Schwester wollte, war nicht zu ertragen. Aber was war mit dir, Christoph? Hast du dich auch nur verzweifelt an etwas festgekrallt?«
    Es war die erste Antwort, über die er nicht nachdenken musste. »Nein«, sagte er. »Ich habe dich geliebt. Ob in der Heimat oder in der Fremde, ich hätte dich überall gefragt, ob du mich nimmst. Nur wäre ich ohne das alles vielleicht in der Lage gewesen, aus unserer Ehe etwas zu machen.«
    Wieder waren sie lange still, ehe Inga fragte: »Willst du mir einen Gefallen tun, Christoph? Lerne, diese Orte beim Namen zu nennen – Hamburg, Veracruz, Mexiko-Stadt, nicht die Heimat, die Fremde und wer weiß, wie weiter. Du kannst doch nicht etwas Heimat nennen, das du bald vierzig Jahre nicht gesehen hast. Und wenn es jetzt sein muss, dass wir auch diese Stadt wieder verlassen, kommt man mit Heimat und Fremde allmählich durcheinander.«
    »Ich will das nicht«, sagte er fast unhörbar. »Diese Stadt verlassen. Ich will, dass wir hierbleiben und endlich ankommen können. So zerrupft, wie wir eben sind.«
    Sie deckte das Tuch wieder über den Korb. Dann hob sie die Hand und strich ihm flüchtig über die Wange. »Ich gehe jetzt. Dörte und Stefan werden warten, und die von Schweinitz wollen vor dem Abend aufbrechen.«
    »Inga, ich weiß, die Familie bedeutet dir nichts …«
    »Da irrst du«, sagte sie. »Die Familie bedeutet mir alles, denn etwas anderes habe ich nicht. Aber zur Familie gehören auch Felice, Felix und sein kleiner Sohn.«
    »Und Kathi.«
    Inga und Christoph drehten sich um. In der Tür stand Marthe. Sie hielt das uralte Bild, die Daguerreotypie, in der Hand. »Nimmst du das mit?«, fragte sie. »Für den Kleinen. Helene hat es nicht haben wollen, und ein anderes Bild gibt’s ja von uns nicht.«
    Die beiden

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