Im Land der gefiederten Schlange
Sitzung einberufen habe?«
»Nein, Majestät.«
Der Kaiser lächelte traurig.
»Nein, Max«, verbesserte sich Valentin und kostete den Namen wie Wein.
»Weil man mir von allen Seiten rät, abzudanken. Das Volk von Mexiko wolle mich nicht mehr, sagt man mir. Auch in Europa, wo man meine Mission als Heilsversprechen pries, wolle mich niemand mehr auf diesem Thron. Oberst López rät mir ebenfalls dazu, wie er mich wissen ließ. Ich habe beschlossen, die Versammlung entscheiden zu lassen. Stimmt die Mehrheit für meine Abdankung, so werde ich meinen Lebenstraum für gescheitert erachten.«
»Das dürfen Sie nicht!« Valentin sprang auf und packte den Mann, der doch sein Kaiser war, bei den Oberarmen. In seinen kräftigen Händen schienen Sie wie dürre Hölzer. »Max, das dürfen Sie nicht. Was soll aus Mexiko werden, wenn nicht Sie die Hand darüberhalten? Wer ist Juárez? Wer ist Porfirio Diaz? Kleine Geister, die sich mit ein bisschen Schläue aus dem Dreck gerudert haben und nach Macht dürsten. Sie aber sind Max von Habsburg, der in dieses Land gekommen ist, weil er es von ganzem Herzen liebt. Sie dürfen nicht abdanken. Eher will ich, dass wir beide für das Kaiserreich Mexiko sterben.«
Mit dem Nachhall des letzten Wortes erstarrte sein Körper, jedes Glied wie vereist. Er hätte kein Wort mehr sagen und keine Bewegung mehr ausführen können.
Der Kaiser – Max – erstarrte ebenfalls, doch nur einen Atemzug lang. Dann hob er die Arme und zog ihn an sich. »Valentin«, stieß er heraus, »mein guter Valentin«, und es klang, als würde er zugleich lachen und weinen. »Ich habe gelobt zu tun, was immer die Versammlung heute Abend entscheidet. Ohne Minister und Staatsrat kann ich nicht regieren. Aber was immer auch heute über unser Schicksal entschieden wird – Ihre Worte werde ich nie vergessen. Ich wünsche, dass wir zusammenbleiben. Mein Valentin. Mein Freund. Mein Herzensbruder.«
Valentins Starre löste sich. Die beiden Männer umarmten sich noch einmal und klopften sich die Schultern. Als er Max schließlich zur Ankleide für die Versammlung gehen lassen musste, war es ihm, als würde er ihn in eine Stierkampfarena schicken, in einen Kampf auf Leben und Tod. Max hatte ihm gestattet, in seinem eigenen Zimmer auf das Ergebnis zu warten, und Valentin war ihm dankbar dafür. Keinen Menschen hätte er jetzt um sich ertragen. Fünf Stunden lang dehnte sich die quälende Sitzung, und vor dem Fenster herrschte tiefe Nacht, als an Max’ Stelle sein Sekretär erschien, um das Ergebnis zu verkünden. Der Kaiser könne es nicht selbst tun, er habe einen Zusammenbruch erlitten und bedürfe der Erholung. Auch Valentin solle sich erholen, er erhalte drei Tage Sonderurlaub und eine Prämie für seine Verdienste.
Mit zwölf zu elf Stimmen hatte sich die Versammlung gegen eine Abdankung ausgesprochen. Wie im Taumel ging Valentin nach Hause. Das Ergebnis war die Art von Sieg, die in Wahrheit eine Schmähung bedeutete, einen Schlag ins ungeschützte Gesicht. Er hätte bei Max sein wollen und seine Schmerzen lindern, zugleich aber brauchte er einen Menschen, der seine eigenen Schmerzen linderte.
Katharina lag halb entkleidet auf dem Bett und schlief. Sie trug ein rotes Hauskleid. Er hatte ihr hundertmal verboten, ohne Schnürleib zu gehen, aber so, wie sie dalag, war sie unsäglich schön. Ihre schwarzen Massen von Haar umhüllten sie wie einer der Rebozos, die die Indio-Frauen trugen. Er riss sie an sich und rüttelte sie wach. Schlaftrunken, wie sie war, nahm er sie, und als sie endlich zu sich kam, nahm er sie ein zweites Mal. Ihre Liebe konnte nichts heilen. Aber sie war wie der Portwein, der es für Stunden erträglich machte.
55
Inga stand in der Küche und packte Dinge in einen Korb. Ein Glas Brotaufstrich, den sie gekocht hatte, ein aus Stoffresten genähtes Kissen. Christoph hatte am Fenster gestanden und zugesehen, wie die Franzosen ihren Karren beluden. Sie verließen die Stadt, in die sie vor fast vier Jahren einmarschiert waren. Damals haben wir noch alle hier gelebt, dachte er, und als die Offiziere einquartiert wurden, war das Haus zu eng. Jetzt, da die Männer ihre Zimmer räumten, war auf einmal zu viel Platz da und kein Mensch, der in die leeren Räume einziehen konnte. Familien sollten wachsen, nicht schrumpfen. Hermann hatte vor, die Zimmer zu vermieten, aber wer würde bei ihnen wohnen wollen, wenn nicht einmal jemand ihre Hüte kaufte?
An den Straßenrändern drängten sich Menschen, die
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