Im Land der gefiederten Schlange
übermüdeten Kopf begann eine Stimme
La Paloma
zu singen.
Wenn eine Taube an dein Fenster kommt, behandle sie zärtlich, denn ich bin es.
»Was hast du dem Mann gesagt?«, fiel ihr ein. »Am Zugang von Santiago de Querétaro. Dem, der mir ins Gesicht geleuchtet hat.«
»Dass du meine Schwester bist, die ich zu ihrem Mann nach Santa María de Cleofás begleite.«
»Aber das sieht man doch, dass ich nicht deine Schwester bin!«, rief sie aus.
»Nein«, sagte er. »So leid es mir für dich tut, man sieht es nicht.«
Oberst López fiel ihr ein, der sie gefragt hatte, in welchem Verwandtschaftsverhältnis sie zu ihm stehe. So viel fiel ihr ein, es fügte sich alles zusammen und ergab doch kein Bild. »Und was ist Santa María de …?«
»Cleofás. Ein Dorf in den Bergen, wo kein Krieg ist. Dorthin bringe ich dich morgen, wenn du dich stark genug fühlst.«
»Aber …«, begann sie und brach ab, weil es zu viele Aber gab.
»Meine Familie lebt dort«, sagte er. »In ihrem Haus kannst du bleiben, bis Frieden ist. Außerdem wartet dort jemand, der dich kennenlernen will und nicht mehr viel Zeit dazu hat. Wenn du hinterher entscheidest, dass du nicht bleiben willst, bringe ich dich, wohin immer du möchtest, einverstanden?«
»Aber der Krieg!«, rief sie. Warum erzählte er ihr nicht, er müsse seine Pflicht tun und für irgendetwas in den Tod gehen? »Musst du denn nicht hier sein und die entscheidende Schlacht ausfechten?«
»Ich denke, vierzigtausend Mann gegen neuntausend kommen spielend ohne mich aus.«
»Und dein … dein Eid?«
»Lass uns jetzt schlafen, ja?« Er klang zu Tode erschöpft. »Das alles ist so schwer zu erklären. Wir versuchen alle nur zu tun, was wir für richtig halten, oder? Dein Valentin und ich auch. Eide schwören gehörte für mich nicht dazu.«
Jäh fühlte Katharina ihren Pulsschlag am Hals, so kräftig, dass sie einen Finger daraufpresste. »Meinst du, du hast keinen Eid auf Juárez geschworen? Aber wurde das denn nicht von dir verlangt?«
Müde schüttelte er den Kopf. »Wir sind nicht so ordentlich wie ihr. Bei uns rutscht immer mal einer durch, und so stehe ich wenigstens nicht mit sich widersprechenden Eiden da.«
Ihre Finger fühlten den Puls am Hals, den Takt ihres Lebens, bei dem er ihr geschworen hatte, Valentin nicht zu töten. Im Kerzenlicht sah sie sein Gesicht, den Schmerz, der sich tief in seine Züge grub. »Benito«, sagte sie und wünschte sich, zu ihm zu laufen und die Arme um seine angespannten Schultern zu schließen, »kannst du heute Nacht bei mir bleiben?«
»Nein«, sagte er, »ich glaube, das kann ich nicht. Gute Nacht, Katharina.«
Ihn gehen zu lassen tat ihrem ganzen Körper weh, aber es war vielleicht der Schmerz, der ihr begreiflich machte, was sie erlebt hatte. Das Alleinsein war erträglich, weil sie sich auf einmal so wenig allein fühlte wie seit ihrem halben Leben nicht. Ich werde das nicht mehr träumen, dachte sie. Vom Malecon. Von Peitschen. Von buckligen Päckchen, schreienden Tauben und von Blut. Nur von Benitos Gesicht. Darüber schlief sie ein.
58
Der Mann, der am Morgen gefragt hatte, ob er eintreten dürfe, und der gleich darauf ins Zelt drängte, war Benitos Oberst und sah aus wie ein Allheilmittel gegen die Angst. »Ferdinando Ferrante«, hatte er sich vorgestellt. »Ich bitte tausendmal um Entschuldigung, gestört zu haben, Señorita, aber Sie haben mit Verlaub bereits den gesamten Vormittag verschlafen und wir, mit Verlaub, das Regimiento Segundo Ciudad de Mexico, brennen darauf, Sie kennenzulernen.«
Er hatte ihr Wasser, Seife und ein Frühstück bringen lassen, und zwischendurch hatte er den Kopf hereingesteckt und gefragt, ob er und sein Regimiento ihr noch behilflich sein könnten. Zu guter Letzt hatte er sie ins Freie gebeten. Seine Muchachos hätten sich so standhaft geduldet – ob sie jetzt vielleicht mit allem gebotenen Anstand ein Auge auf sie werfen dürften? Katharina hatte lachen müssen und war aus dem Zelt gestiegen, in die leuchtende Sonne des Nachmittags. Er hatte seine Männer in Reihen antreten lassen. Er reichte ihr seinen Arm, führte sie zwischen den Reihen hindurch, und Applaus brandete auf. Oberst Ferrante deutete eine Verbeugung an. »Sie haben ihre Erwartungen übertroffen, Doña Katharina. Ich darf Sie doch Katharina nennen?«
»Sehr gern«, erwiderte Katharina. Dann platzte aus ihr heraus, was sie mit Mühe zurückgehalten hatte. »Wo ist Benito?«
Der Oberst lächelte breit. »Sie haben es nicht
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