Im Land der gefiederten Schlange
die er mindestens noch zwei Welten aus den Angeln heben will.«
Katharina lehnte das Gesicht an die Pritsche, begann wieder Benitos Nacken zu streicheln und fühlte nun selbst, wie die glühende Haut allmählich auskühlte. Im nächsten Augenblick erhielt sie einen kraftvollen Tritt aus ihrem Inneren gegen ihre Bauchdecke. Ganz so, als wollte ihr jemand zu verstehen geben: Vergiss mich nicht. Ich bin auch noch da.
Als sie in der Frühe des nächsten Tages aufbrachen, hatten die Männer des Regiments sich versammelt, um zu winken. Der kleine Guerrero vergoss ein paar Tränen. Die Ausgelassenheit unter ihnen verriet, dass für sie der Krieg schon gewonnen war. Hinter dem Kamm starb Valentins Kaiserreich. Vielleicht war die Idee, als sie hierherkam, schon zu alt für eine neue Welt, dachte Katharina, und eine Woge von Trauer fiel über sie her. Warum hatte sich Valentin mit all seinem Mut und seiner Leidenschaft für etwas opfern müssen, das zum Sterben verurteilt war?
Sie ritt auf Benitos Vollblut. Bergab führte er das Tier, und als sie das Tal erreichten, saß er hinter ihr auf. Der Tag war voll Zauber. In der Sonne leuchtete das überbordende Grün, und wo immer sie ein Stück Wald durchquerten, schrien Schwärme von Vögeln ihre Lebensfreude in den Morgen. Benito hielt den Arm um ihre Rippen, um sie auf dem Pferderücken zu stützen, bemühte sich aber, sie so wenig wie möglich zu berühren. Er sprach auch nicht. Was in der Erregung und Dunkelheit der Nacht leichtgefallen war, schien heute, im Tageslicht, unendlich schwer.
»Ist es noch weit?«, fragte sie irgendwann.
»Nein. Willst du eine Pause machen?«
Katharina schüttelte den Kopf. »Ich will dich etwas fragen, wenn ich darf und du nicht glaubst, ich wolle dir einen Vorwurf machen.«
»Du kannst mir auch einen Vorwurf machen«, erwiderte er in dem kalten Ton, den sie allzu gut kannte, und sprang geschmeidig vom Pferd, um es wieder am Kopfzeug zu führen. »Und die Antwort auf deine Frage muss ich dir ohnehin geben.«
Sie wartete eine Weile. Als er mit dem Pferd weiterging, ohne den Kopf nach ihr zu drehen, fragte sie: »Warum hast du mich nicht gesucht, Benito?« Sie atmete auf. Ihre Brust schien sich jäh zu weiten, sobald die Frage sie nicht mehr beengte.
Er hielt den Kopf gesenkt. »Weil mir jemand etwas über dich erzählt hat, das ich nicht aushalten konnte«, sagte er.
»Was hat dir jemand erzählt?«, schrie sie auf.
»Dass du meine Schwester bist«, sagte er, hielt den Kopf gesenkt und führte das Pferd weiter.
»Aber das ist doch Unsinn!«
»Ja, das ist Unsinn, und ich hätte es wissen müssen. Du kannst deine Wut an mir auslassen, aber viel wird es dir nicht nützen, denn du kannst mich nicht schwerer bestrafen, als das Leben es tut.«
»Benito«, schrie sie, »bleib endlich stehen!« Als er nicht gehorchte, beugte sie sich vor und packte sein Haar. Er machte noch einen Schritt, und sie rutschte vom Pferd, die Stute scheute, und Benito fing sie auf. Unverhofft stand sie in seinen Armen, sah die Qual in seinen Augen, und etwas in ihr schmolz. »Ich will dich nicht bestrafen«, erklärte sie. »Ich will nur, dass mir endlich jemand die Wahrheit sagt, damit ich zumindest einen Teil von meinem Leben wieder zusammensetzen kann. Verstehst du das?«
An ihrem Leib spürte sie seine wendigen, schlanken Hüften und dachte: Du Idiot. War dir nicht klar, dass du und ich alles sein könnten, aber nicht Bruder und Schwester?
»Ja, das verstehe ich«, antwortete er. »Deshalb sind wir hier.«
»Wer hat dir erzählt, dass ich deine Schwester bin? Bitte sag nicht, du müsstest auf irgendwen Rücksicht nehmen, steckt nicht alle unter einer Decke gegen mich. Ich habe doch ein Recht darauf zu wissen, wer ich bin!«
»Nicht meine Schwester«, sagte er mit schwerer Stimme. »Der, der es mir gesagt hat, hat es getan, weil er sich um dich Sorgen machte. Er hat es auch geglaubt.«
»Und wer war es?«
»Dein Vetter Stefan.«
»Und du hast ihm geglaubt?« Jetzt schrie sie ihn doch an und musste die Fäuste ballen, um ihn nicht zu schütteln. »Ich war eingesperrt und habe mich nach dir krankgesehnt, und du glaubst einfach irgendeinen Mist, den dir Stefan erzählt?«
Er ließ sie los und wandte sich dem Pferd zu. »Ich habe meine Schwester gefragt, und sie hat gesagt, sie glaubt, dass es so ist.«
»Ach, die Schwester deiner Schwester war ich dann also auch!«, höhnte Katharina, während ihr die verfluchten Tränen unaufhaltsam aus den Augen
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