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Im Land der gefiederten Schlange

Im Land der gefiederten Schlange

Titel: Im Land der gefiederten Schlange Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: carmen lobato
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Außerdem ist sie kurzsichtig, sie erkennt Sie gar nicht – und grantig ist sie zu uns allen, sie wirft mit rohen Bohnen nach uns, wenn wir nicht kuschen.«
    Zusammen zu lachen war Balsam, und das Haus mit seinen niedrigen Decken und den Wänden aus geweißeltem Stein war womöglich das behaglichste Gebäude, das sie je betreten hatte. Ehe sie sich’s versah, saß sie in der riesigen windschiefen Küche, aß Carmens Tamales wie eine, die dem Hungertod entronnen war, und hatte beinahe die gesamte Geschichte dieser zusammengewürfelten Familie gehört. Diese Leute haben ihr Leben in die Hände genommen und sich ein Nest daraus gebaut, dachte sie. Ihre Kinder können von Glück sagen, weil sie hier aufwachsen dürfen, und ich wünschte, meines dürfte es auch.
    »Werden Sie bleiben?«, fuhr Carmens Stimme in ihre Gedanken, als hätte sie diese gelesen.
    »Nein«, stammelte Katharina. »Nein, nur bis ich weiß, wohin ich gehe – wenn es Ihnen recht ist, natürlich.«
    »Uns ist alles recht«, erwiderte Carmen. »Benito hat dieses Haus mit Xavier gebaut, es ist seines so sehr wie unseres, und damit ist es Ihres auch. Wir hätten es gern, wenn Sie beide blieben. Mein Sohn Miguel ist in einem schwierigen Alter, und er betet Benito an.«
    Sie konnte diese Frau, die ihr mit so viel Wärme begegnete, nicht länger betrügen. »Carmen«, sagte sie, »ich weiß nicht, was Ihnen Benito erzählt hat …«
    »Nichts.« Carmen lachte. »Benito erzählt uns grundsätzlich nichts, was wir ihm nicht aus der Nase ziehen. Ihnen vielleicht?«
    Katharina musste auch lachen. »Ich glaube, ich bin beim Ziehen nicht so sanft wie Sie. Carmen, ich muss Ihnen das jetzt sagen: Ich bin nicht Benitos Frau.«
    Sie zuckte mit den Schultern. »Das fällt hier draußen nicht sonderlich ins Gewicht. Entscheidend ist, ob Sie melken können.«
    »Kann ich nicht. Ich fürchte, ich kann so gut wie nichts.«
    »Sie tun Benito gut. Für uns ist das genug.«
    Katharina schüttelte den Kopf, und dann platzte alles in einem Atemzug aus ihr heraus. »Das habe ich versucht, Ihnen zu sagen: Benito und ich sind kein Paar, und ich tue ihm nicht gut. Ich tue ihm weh, ich demütige ihn mit jedem Schritt, den ich gehe, und es bringt mich fast um. Ich habe einen anderen Mann geliebt, ich habe ihn verloren, und ich kann jetzt nicht Benito nehmen wie einen billigen Ersatz.«
    »Können Sie wirklich nicht?«, fragte Carmen, die im Mörser Pfefferkörner zerstampfte, als sprächen sie über die Maisernte.
    »Ich habe seinen Stolz schon genug verletzt. Er hat das nicht verdient.« Wieder kamen ihr Tränen und zwangen sie zu verstummen.
    »Wissen Sie, was er einfach nicht verdient hat?«, sagte Carmen scharf. »Dass Sie ihn wegstoßen, ohne ihn zumindest zu fragen, ob ihm das alles, was Sie mir da erzählen, nicht egal ist. Benitos Stolz ist zäh. Der richtet sich, wenn man ihm eins verpasst, wieder auf.«
    »Glauben Sie mir, es ist besser, wenn ich ihm seinen Frieden lasse.« Sie konnte kaum sprechen. »Benito braucht mich nicht …«
    »Ach, und der andere hat Sie gebraucht?« Carmen fuhr herum und stieß den Mörser beiseite. »Ist es das? Und auf Benitos Spielchen fallen Sie herein? Merkwürdig, sooft ich ihn reden höre, denke ich, Sie müssten die klügste Frau Mexikos sein. Jetzt aber kommt es mir vor, als wären wir hier zwischen unserem Rindvieh klüger. Sehen Sie wirklich nicht, wie verzweifelt Benito Sie braucht? Er hat nur Angst davor, weil Menschen, die er braucht, aus seinem Leben grundsätzlich verschwinden: Sein Vater, den ein Beamter der Hafenwacht erschossen hat, als er einen Karren überfiel. Sein Pate Vicente, den er vergöttert hat, wie mein Sohn ihn vergöttert, und den er am Galgen sterben sehen musste. Seine Mutter, die ihn im Alter von sechs Jahren aus dem Haus schickte. Sein Bruder Miguel. Und Katharina Lutenburg.«
    Es tat weh, als schnitte etwas ihr ins Herz. Sehnlichst wünschte sie, sie hätte Carmen auch den Rest sagen können, das eine, das sich nicht aus der Welt reden ließ. Sie fuhren zusammen, als die Vordertür klappte, und eilig legte Carmen den Finger auf die Lippen. »Kein Wort!«, murmelte sie verschwörerisch.
    Im nächsten Augenblick stand Benito in der Tür. Er sah schön aus, fand Katharina. Das Haar vom Wind zerzaust, das Hemd achtlos in den Hosenbund gestopft und so wie ein Mann, der zu Hause war. Zu Carmen sagte er etwas auf Nahuatl, und sie gab ihm Antwort. »Können wir gehen?«, fragte er Katharina auf Deutsch.
    »Und

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