Im Land der gefiederten Schlange
wohin?«
»Das sage ich dir unterwegs.«
Katharina stand auf. Flink trat Carmen zu ihr und zeichnete ihr ein Kreuz auf die Stirn. »Gott sei bei Ihnen. Und bei der Grauen.«
Kurz war Katharina versucht sie zu fragen, welchen Gott sie meinte, und dabei fiel ihr etwas ein, das der Kaiser gesagt hatte. Valentins Kaiser.
»Kann ich dich noch etwas fragen?«, sagte sie, als sie hinter Benito ins Freie trat und über dem Hang mit den Kaffeepflanzen die in rötlicher Sonne zerfließenden Wolken sah. Ein mächtiger Greifvogel, ein Kondor mit schwarzem Gefieder, zog, ohne die weit gespannten Flügel zu rühren, über die Höhen hinweg. Diese Vögel, die so einsam und gefährlich wirkten, paarten sich nur ein einziges Mal, und ihre Bindung hielt ein Leben lang.
Benito hatte angefangen den Hang zu erklimmen, blieb stehen und drehte sich nach ihr um. »Wolltest du mich nicht etwas fragen?«
»Ach, nur etwas, das der Kaiser, gesagt hat, ich meine, Maximilian von Habsburg …«
»Katharina«, sagte er, »mich stört es nicht, wenn du ihn Kaiser nennst. Und ich glaube auch nicht, dass alle, die für ihn gekämpft haben, böse Menschen sind, die guten Menschen ihr Land wegnehmen wollten, einverstanden?«
Jäh schossen ihr wieder Tränen in die Augen. »Valentin«, stieß sie aus. »Valentin ist kein böser Mensch. Er wollte niemandem sein Land wegnehmen, er hat geglaubt, er könne diesem Land etwas bringen. Und ich … ich habe es an manchen Tagen auch geglaubt.«
Ihr Schluchzen hallte so laut, dass sie erschrak. Wie lange würde das so weitergehen, dass sie keinen Gedanken aussprechen konnte, ohne zu weinen wie ein Kind? Benito nahm sie in die Arme, und sie schämte sich. »Nein«, presste sie zwischen Schluchzern hervor, »es ist nicht richtig, dass jetzt du mich auch noch über Valentin und den Kaiser trösten musst.«
»Lass mich doch tun, was ich will«, entgegnete er geradezu bockig. »Wieso hättest du das denn nicht glauben sollen? Es sah doch alles so hübsch aus, als sie mit ihren glänzenden Kutschen und Uniformen und ihrer Kaiserhymne hier hereinmarschiert sind. Und das was sie uns erzählt haben, klang noch hübscher – von den Straßen, die sie bauen, und den Schulen, die sie gründen wollten. Brauchen wir vielleicht keine Schulen? Ist dieses Land, was Straßen angeht, nicht ein einziger Missstand?«
»Genau das habe ich auch gedacht!«, rief sie erleichtert. »Es war doch gut, dass sie das für Mexiko wollten.«
»Ja, und vielleicht hätten sie es ja auch gut gemacht. Besser als wir, die noch immer nicht gelernt haben, wie man ordentlichen Wein keltert. Und unsere Vögel, die noch immer schreien, hätten sie das Singen lehren können. Ich fände das schön. Ich würde Europa mit dem edlen Wein und den singenden Vögeln gern sehen. Aber ich glaube, ich möchte das alles lieber in Europa sehen als bei uns, auch wenn die Straßen, die wir bauen, im Schlamm versinken und in unseren Schulen die Kinder klüger sind als die Lehrer. Und wenn ich nach Europa käme, würde ich nicht allzu gern Volksreden darüber halten, wie ich alles besser machen und Europa zum ewigen Heil verhelfen könnte. Ich hätte Angst, die Europäer steckten mich ins Narrenhaus.«
Katharina musste lachen. In stillem Einverständnis hatten sie sich am Hang in das duftende Gras gesetzt. Sie nahm sein Taschentuch und trocknete sich das Gesicht. »Ich hätte auch Angst, Benito. Fahr nicht nach Europa, lass niemanden dich ins Narrenhaus stecken.«
Er hatte beim Lächeln so viele Fältchen in den Augenwinkeln, dass man die Narbe nicht mehr sah. »Und was wolltest du mir jetzt erzählen, das der Kaiser gesagt hat?«
Sofort fiel es ihr wieder ein. »Benito, dein Schlangengott …«
Ihre Blicke trafen sich. »Quetzalcoatl«, sagte er und hob eine Braue. Im nächsten Augenblick prusteten sie beide los und lagen sich in den Armen. Es ist so gefährlich, dachte Katharina. Jedes kleine Wort ist gefährlich, weil uns alles verbindet. Ich wünschte, ich könnte hier mit ihm sitzen bleiben, ich müsste nicht dort nach oben, was immer dort wartet, und auch nirgendwo anders hin.
»Quetzalcoatl und die vielen Schlangen auf euren Bildern – der Kaiser hat gesagt, das sind Nabelschnüre, die uns ernähren, von denen wir uns aber eines Tages lösen müssen. Ist das richtig?«
»Falls ich je eine Schule baue, frage ich den Kaiser, ob er Mexica-Mythologie bei mir unterrichten möchte, ja?«
»Hör auf.« Weich, mit dem Handrücken, schlug sie ihm
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