Im Land der gefiederten Schlange
manchen Sonntagen im Freien gegessen hatten, aus Henkelkörben, in einer stillen Bucht, in der sie auf dem Strandspaziergang Rast machten. Der Sommerwind hatte ihnen an den weißen Kleidern und den Bändern der Hüte gerissen, und das Essen hatte köstlich geschmeckt, wie vom Meer gesalzen.
Die Frau, die aus einem Topf Bohnenmus in Maisfladen schöpfte und an drei wartende Kinder verteilte, trug kein weißes Kleid, sondern einen braunen Kittel, und statt des Sommerwinds herrschte die Stille vor dem Sturm, aber die vier sahen aus, als würde das Essen ihnen köstlich schmecken. Alle Kinder packten es mit den Händen, beschmierten sich die Münder und verlangten gierig nach mehr. Mit leisem Neid sah Katharina ihnen zu, bis die Frau aufblickte und sie entdeckte.
Die Sprache, in der sie zu ihr herüberrief, verstand sie nicht. »Benito«, erwiderte Katharina mit dem ersten Wort, das ihr einfiel, »Benito und Miguel – wo wohnen die?«
Hastig wechselte die Frau einen Wortschwall mit dem ältesten Mädchen. Das drehte sich nach Katharina um. »Die Familie von der Anna suchst du? Anna Alvarez? Aus Querétaro?« Ihr Spanisch klang noch immer nach der fremden Sprache, dunkel und geheimnisvoll.
Den Namen des Ortes hätte Katharina jedoch unter Hunderten wiedererkannt. Sie hatte ihn sich gemerkt, weil sie seinen Klang so schön fand. Auf ihr Drängen hatte Ben ihr erzählt, dass seine Familie aus einem Land namens Querétaro stammte. »Ja, aus Querétaro!«, bestätigte sie erfreut. »Wohnen sie hier?«
Wieder tauschten Mutter und Tochter fremde Worte, ehe die Tochter ihr auf Spanisch Antwort gab: »Die haben gerade erst Gäste bekommen, Leute aus ihrem Pueblo, für die sie sorgen müssen. Die können nicht noch eine durchfüttern.«
»Aber ich bin nur auf Besuch!«, rief Katharina und bemerkte erst, als die beiden sie verständnislos anstarrten, dass sie Deutsch gesprochen hatte. Hastig wechselte sie ins Spanische: »Ich bin Katharina Lutenburg, Bens Freundin aus der Stadt. Er arbeitet bei uns. Und Miguel hat auch bei uns gearbeitet, aber er ist schon lange nicht mehr da.«
Es schien, als hätte sich der Himmel binnen eines Herzschlags verdunkelt, und mit demselben Schlag verflog die Wärme. Katharina fröstelte. Die Frau stand auf, nahm den Kindern die leergegessenen Schüsseln ab und räumte sie zusammen. Dabei redete sie auf ihre Tochter ein, die noch einmal für Katharina übersetzte: »Wir verstehen nicht, was du willst, und wir können dir nicht helfen. Das Haus von der Anna steht dort drüben. Wir müssen jetzt gehen. Der Regen kommt.«
Das Mädchen drehte sich um, griff sich den Topf und floh hinter der Mutter und den Brüdern ins Haus. Es war wie vorhin bei den Lagerarbeitern. Alle betrugen sich, als hätten sie Angst vor Katharina und könnten ihr nicht schnell genug entkommen. In der angegebenen Richtung stand nur noch eine einzige Hütte, die aussah, als hätte man sie in der Mitte geknickt und wieder aufgefaltet. Entschlossen stapfte Katharina darauf zu. Sie hatte es jetzt eilig, Bens Familie zu finden. Es war kalt, es wurde dunkel, und ihr war unwohl zumute, sie brauchte Menschen, die mit ihr sprachen und lachten.
Vor dem Haus war eine Grube ausgehoben, daraus stieg verblassend eine Säule Rauch. Tür und Fensterladen waren geschlossen, doch von drinnen drangen Stimmen an ihr Ohr. Kurz lauschte sie. Gehörte eine davon Ben? In einer Hand hielt sie den inzwischen traurig zerrupften Blumenstrauß, ballte die andere zur Faust und hämmerte mit aller Kraft ans Holz.
Das Gespräch verstummte. Heiser schrie eine Frau, und gleich darauf huschten Schritte über den Boden, aber niemand machte ihr auf. Katharina wartete, derweil das Haus in Stille verfiel, dann ballte sie noch einmal die Faust und hämmerte, als wollte sie die Tür einschlagen.
Das Haus schien den Atem anzuhalten. Endlich regte sich etwas, eine Folge von Schritten und schließlich das Kreischen eines Riegels, der zurückgeschoben wurde. Die Tür wurde aufgezogen, und im Spalt erschien Bens Gesicht.
Katharina hatte genau das erhofft und dafür den langen Weg auf sich genommen. Jetzt aber wünschte sie sich auf einmal, sie säße in ihrem Zimmer unterm Dach, spielte ein ödes Arpeggio auf dem Cembalo und wartete, dass die Mutter sie zum Essen rief. Was hatte sie sich dabei gedacht, herzukommen, obwohl Ben ihr immer wieder gesagt hatte, dass er sie hier nicht wollte? Aus der Hütte drangen Schwaden von Düften, Katharina sah kaum Möbel, aber
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