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Im Land der gefiederten Schlange

Im Land der gefiederten Schlange

Titel: Im Land der gefiederten Schlange Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: carmen lobato
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mehrere Menschen, und begriff nur eines: Sie war fremd und fehl am Platz. Sie war ohne Erlaubnis in Bens Leben eingedrungen, und jetzt starrte er sie an, als wäre er nie ihr Freund gewesen.
    Dann aber sagte er etwas. Nur ein Wort, »Ichtaca«, und die Spannung fiel von ihr ab. So böse konnte er ihr nicht sein, wenn er sie noch bei dem Kosenamen nannte, den er für sie erfunden hatte. Katharina dachte nicht länger nach, sondern trat vor ihn und umarmte ihn.
    »Ben, du darfst mir nicht böse sein. Ich habe so oft zu dir gesagt, lass mich deine Familie kennenlernen, und was hätt ich denn tun sollen, wo du ja nicht mehr mit mir sprichst?«
    Sie sah zu ihm auf. Er trat zurück, zog sie in die Wärme und schob hinter ihr die Tür zu. Irgendwann hob er die Brauen, wie sie es so gut von ihm kannte, und fragte auf Deutsch: »Glaubst du, das war sehr klug, hierherzukommen? Glaubst du, das war auch nur ein bisschen klug?«
    »Warum denn nicht?«, entgegnete sie trotzig. »Mein Onkel Fiete sagt immer: Kommt der Berg nicht zum Propheten, dann muss der Prophet zum Berg.«
    »Du bist ein dummes Mädchen, kein Prophet. Beim Himmel, Ichtaca, was hast du deinen Eltern gesagt, wo du hingehst? Sie hätten dich doch niemals gehen lassen.«
    Der tadelnde Ton, um den er sich bemühte, misslang. Katharina lachte und gab ihm einen Kuss. Aus dem Innern des Hauses kam jetzt jemand näher, die Gestalt eines Mannes löste sich aus dem Zwielicht, und sie erkannte Miguel. Hinter ihm näherten sich drei Frauen, eine kleine Alte mit zerschlissenem Rebozo und zwei junge mit dicken Zöpfen. »Ja, wen haben wir denn da?«, rief Miguel, der einen Schnurrbart trug und rauchte. »Sag, kleiner Bruder, ist das nicht das Balg von deinen Deutschen?«
    Miguel war nie nett zu ihr gewesen, aber dass er sie ein Balg nannte, war entschieden zu viel. Katharina setzte eben zu einer Erwiderung an, da befreite Ben sich aus ihrem Griff und legte den Arm um sie. »Das ist Katharina Lutenburg«, sagte er, »die Tochter meines Dienstherrn. Sie wollte dich besuchen, Mutter, sie hat dir Blumen mitgebracht.«
    Die Alte kam zögerlich einen Schritt näher. Sie sah jetzt nicht mehr ganz so alt aus, wenn auch ihre Haut wie brüchiges Leder war. »Guten Abend«, grüßte Katharina und hielt ihr die Blumen hin. Bens Mutter, die dieselben tintenschwarzen Augen hatte wie ihre Söhne und alle Indios, schaute mit fliegenden Blicken an ihr hinauf und hinunter, als sähe sie zum ersten Mal ein weißes Mädchen. Die Blumen nahm sie nicht. Auf einmal packte sie ihren Sohn Miguel und eine der jungen Frauen bei den Armen und zerrte sie zurück. Dann riss sie die Augen weit auf und schleuderte Ben eine Schimpfkanonade entgegen. Was sie sagte, verstand Katharina nicht, doch es fiel ihr nicht schwer, es zu erraten. Ben sollte sie fortschicken. Sie war in diesem Haus nicht willkommen. Als wäre noch eine Zutat nötig, um es schlimmer zu machen, begann in diesem Augenblick der Regen wie Steinschlag auf dem Dach.
    Was würde Ben sagen, zu wem würde er halten? Katharina spürte das Zittern, das über seinen Rücken lief. »Sie ist ein Kind, Mutter«, sagte er. »Sie hat nichts getan.«
    Wieder ging ein Wortschwall der Mutter auf ihn nieder, und noch einmal spürte Katharina das Zittern. Sie fühlte sich scheußlich. Dass Ben ausgeschimpft wurde, weil sie eine Dummheit gemacht hatte, durfte sie nicht erlauben, auch wenn sie noch immer nicht begriff, worin diese Dummheit eigentlich bestand. »Es ist doch nicht Bens Schuld!«, rief sie. »Wenn jemand einen Tadel bekommen muss, dann ich.«
    Nur einen Herzschlag lang blitzten die Augen der Mutter sie an, dann wandte sie sich wieder Ben zu, schimpfte noch heftiger auf ihn ein und wies zur Tür. Ben ließ sie ausreden, dann beugte er sich zu Katharina hinunter. »Misch dich nicht ein, Ichtaca. Das hier begreifst du nicht.« Zu seiner Mutter sagte er: »Das tust du nicht. Du schickst kein Kind in den Regen.«
    »Ha!«, rief Miguel, ehe die Mutter in ihrem Kauderwelsch zu Wort kam, »und wohin schicken die Leute dieses Kindes unsereinen? Willst du mir das sagen, kleiner Bruder, willst du?«
    Ben schüttelte den Kopf. Er sah so traurig aus, dass es Katharina weh tat.
    Miguel legte den Arm um seine Mutter, wie Ben den seinen um Katharina gelegt hatte. »Du hast deine Mutter gehört«, sagte er. »Sie will keine Rache, was ich nie begreifen werde, aber sie wird keinen von denen in ihrem Haus dulden. Deine Deutsche muss gehen.«
    Was Ben dann tat, war so

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