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Im Land der gefiederten Schlange

Im Land der gefiederten Schlange

Titel: Im Land der gefiederten Schlange Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: carmen lobato
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sie sie vor ihr Gesicht und starrte sie an. Von den Handflächen troff ihr Blut, das nicht aufhörte aus der Wunde zu sickern. Auch das Hemd war voll Blut, all das Rot auf dem Weiß. Dass man, wenn man sein Blut verlor, starb, wusste jedes Kind, und der Druck ihrer Hände vermochte den Strom des Blutes nicht aufzuhalten. Die Taube schrie. Es klang nicht länger schrill, sondern als ob sie weinen würde.
    Wenn sie als Kind den Traum gehabt hatte und aus dem Schlaf geschreckt war, hatte ihr Vater vor ihrem Bett gestanden und sie in die Arme gezogen. Ihr Vater mit seiner kratzigen, ungeübten Stimme war ein kläglicher Sänger, aber ihr hatte er immer ein Lied gesungen: »Es wird ja alles wieder gut, nur ein kleines bisschen Mut.«
    Jetzt war sie kein Kind mehr. Sie war fast vierzehn, und seit jenem Tag vor fast vier Jahren gab es zwischen ihr und ihrem Vater kein Trösten mehr. Als der Traum zerplatzte und jäh in Wachheit überging, wurde ihr klar: Niemand wird kommen. Ich bin allein. Mit dem nächsten Herzschlag begriff sie, dass zwar der Traum, nicht aber das Entsetzen zu Ende war. Sie lag nicht in ihrem Bett, sondern kniete davor im abgedunkelten Raum. Von ihren Händen troff Blut. Das weiße Hemd war rot und klebte zwischen ihren Beinen.
    Ich muss sterben! Sie hatte gestöhnt, wenn die Mutter sie vor der Unzahl Krankheiten gewarnt hatte, die in der mexikanischen Luft auf sie lauerten, und jetzt wurde sie für ihren Leichtsinn bestraft. Eine der Krankheiten hatte sie erwischt, weil sie sich niemals vorsah, sondern ging, wohin sie wollte. Sie würde auf dem Boden ihrer Kammer sterben! Das Weinen, das durch die Nacht brach, war ihr eigenes, aber es klang kaum anders als das Heulen der Llorona, die Klage völliger Einsamkeit.
    Und dann war doch jemand bei ihr. Jemand kniete sich zu ihr und zog sie in die Arme, hielt sie fest und beschmierte sich mit ihrem Blut. »Ach, mein Liebchen, mein armes Liebchen. Hätte der Herrgott uns das nicht noch eine kleine Weile ersparen können?«
    Die Mutter. Katharina ließ sich fallen. »Ich will nicht sterben«, brachte sie kaum verständlich unter Schluchzern heraus.
    »Du stirbst ja nicht, mein Schätzchen. Ein Teil von dir stirbt, den ich so gern behalten hätte, aber der Rest lebt weiter. Es ist das Frauenübel, es befällt uns alle. Du musst jetzt doppelt vorsichtig sein und zu niemandem davon sprechen. Ich hole dir Wasser und ein frisches Hemd, und nachher gebe ich dir Tücher, die du dir zwischen die Beine legen kannst.«
    Katharina, die aufgehört hatte zu weinen, wurde von neuem Schrecken überfallen und hielt sich an der Mutter fest. »Geh nicht weg. Bleib noch ein bisschen hier.«
    Die Mutter schloss die Arme wieder um sie. Leise summte sie eine Folge von Tönen, die Katharina vertraut schien. Sie konnte sich nicht erinnern, je so mit der Mutter gesessen zu haben. Es war der Vater, der zärtlich zu ihr war, wohingegen die Mutter sie zwar bestens versorgte, aber Gefühlsduseleien nicht mochte. Jetzt jedoch schienen sie einander so nahe, wie sie keinem anderen hätten sein können. Katharina fiel etwas ein, das die vorlaute Jette unter Gekicher herumschwatzte, dass nämlich die Kinder in den Leibern ihrer Mütter wüchsen. War sie in dem Leib, an dem sie lehnte, gewachsen? Es war schön, von der Mutter gehalten zu werden – als könnte sie noch einmal in sie hineinkriechen. Katharina atmete tief und beruhigte sich. »Mutter«, fragte sie, »warum bin ich nicht im Bett? Gehört das zu dem Frauenübel?«
    Auf ihrem Scheitel spürte sie, wie die Mutter den Kopf schüttelte. »Mach dir darum keine Sorgen. Dir ist noch nie etwas geschehen, und dir geschieht auch in Zukunft nichts. Darauf gebe ich acht.«
    »Aber was ist es?« Sie war kurz davor, ihrer Mutter von dem Traum zu erzählen, da fiel ihr das bucklige Päckchen ein, und sie schwieg.
    »Mondsucht«, erwiderte die Mutter. »Die Familienkrankheit. Ich blieb verschont, aber deine Großmutter litt daran und deine Tante auch.«
    »Welche Tante? Inga?«, fragte Katharina verblüfft.
    »Nein, nicht Inga«, entgegnete die Mutter hastig. »Inga ist ja uns nicht im Blut verwandt. Ich meinte eine Base von mir, meine Base Ilse litt an Mondsucht, aber sie hat trotzdem gelebt wie jede andere. Man muss nur achtgeben, dass keine Mondsüchtige des Nachts aus dem Haus läuft oder aus dem Fenster springt.«
    Katharina musste lachen. »Ich springe doch nicht aus dem Fenster! Hier unterm Dach ist es doch viel zu hoch. Wer da runterspringt,

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