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Im Land der gefiederten Schlange

Im Land der gefiederten Schlange

Titel: Im Land der gefiederten Schlange Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: carmen lobato
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des Saals, wo neben dem Weihnachtsbaum die Familie des frischgebackenen Konsuls von Veracruz plaziert war. Der Mann, der ein langes Pferdegesicht hatte, umrahmt von einem weißen Backenbart, hieß Andreas Eyck, und seine beiden Söhne sahen aus wie straffere, blondere Abbilder seiner selbst, der eine rotwangig und der andere käsig. Die Hartmann-Lutenburg’sche Kinderschar war an den Gästen vorbeiparadiert und von Traude in aller Form vorgestellt worden. Auch wurde noch eine weitere illustre Familie erwartet, ein Handelsagent aus Mexiko-Stadt, der mit der Konsulsgattin verwandt war und sowohl fabelhaft reich als auch von Adel sein sollte. »Wenn der Herr von Schweinitz eintrifft, erwarte ich euch an der Tür«, hatte Traude den Kindern zugezischt.
    Katharina hatte dem Gezische zum Trotz nicht aufgepasst, sondern sich mehr für den Mann interessiert, der im Winkel neben dem Klavier ein kompliziertes spinnenbeiniges Gerät aufbaute. Auch jetzt war er noch damit beschäftigt, aber Katharina wusste inzwischen, worum es sich handelte: Es war ein Stativ. Und obenauf geschraubt saß wahrhaftig eine Voigtländer, ein Apparat, der ein Bild vom Leben einfing und es für immer festhielt.
    Helene, die zu ihrer Rechten saß, hatte es ihr mit lautstarker Empörung erzählt. »Meine Mutter hat sich mächtig ins Zeug gelegt, was? Nicht nur einen Pianisten hat sie bestellt, als bekäme keiner von uns ein paar Tanzweisen geklimpert, nein, es musste unbedingt auch noch ein Daguerreotypist her.«
    »Ein was?«
    Helene lächelte hämisch. »Tja, da staunst du. Manches weiß eben selbst Fräulein Neunmalschlau nicht. Der Daguerreotypist ist der Mann mit dem Kasten auf Stelzen, und der Kasten ist eine Voigtländer-Kamera. Er hat eine Platte darin, die hält das Engelsgesicht von Mutters Liebling für die Ewigkeit fest. Weißt du, was Mutter dazu gesagt hat? ›Ich kann mich doch nicht lumpen lassen‹, hat sie gesagt. ›Wenn mein Stefan heimkommt, wird an nichts gespart, denn ohne meinen Stefan war es doch gar kein Weihnachten mehr.‹ Ja, du hast richtig gehört. Als wäre der Stefan ihr einziges Kind, jedenfalls das einzige, das bei ihr etwas zählt.«
    Helene hatte so laut gesprochen, dass ihre Mutter sie hören musste, aber die beachtete sie nicht, sondern starrte wie gebannt auf die Tür. Arme Helene! Mit Katharina erging es ihr kaum besser, denn sosehr sie sich bemühte, zuzuhören, konnte sie die Augen nicht von dem Fotografen wenden.
    Vermochte er das tatsächlich, einen Menschen, der sich bewegte, atmete, redete, in seinem Kasten zu fangen, so dass andere Menschen ihn betrachten konnten, wenn er sich nicht mehr bewegte, ja, wenn er gar nicht mehr da war? Ihre Mutter hatte sie zweimal zeichnen lassen, aber das war nicht dasselbe, denn die fertigen Bilder hatten ihr kaum ähnlich gesehen. Offenbar hatten sie auch der Mutter nicht gefallen, denn sie hatte sie nie aufgehängt.
    Auf dem Bild des Daguerreotypisten hingegen sollte jedes Detail genau wie im Leben geraten. Katharina wünschte, sie hätte hinüberlaufen und einen Blick in den Zauberkasten werfen dürfen. Stattdessen musste sie in ihrem bauschigen Ungetüm von Kleid abwarten, dass überhaupt etwas geschah.
    Auf den Tanz allerdings freute sie sich. Sie tanzte für ihr Leben gern. Die Mutter hatte ihr geraten, sich wegen des Frauenübels zurückzuhalten. »Am besten tanzt du nur, wenn jemand von Bedeutung dich bittet, allen anderen sagst du, du bist indisponiert.«
    Zum Glück hatte die Mutter ihr jedoch nicht erklärt, woran sie erkannte, ob jemand von Bedeutung war oder nicht.
    »He, Traumtänzerin, hast du überhaupt gehört, was ich gesagt habe?« Sachte stieß Jo ihr den Ellbogen in die Rippen. »Der ältere Sohn des Konsuls hat schon Stielaugen. Aber du siehst aus, als gefiele dir der Graubart mit dem Apparatus besser.«
    »Nicht der Graubart«, verbesserte Katharina, »der Apparatus.« Schuldbewusst wandte sie sich wieder Jo zu. »Ich wünschte, ich dürfte nachher zuschauen, wenn er ein Bild von Stefan macht.«
    »Und ich wette, du darfst es. Wenn du deinen Vater becirct, wird der schon einen Weg finden. Kathi Lutenburg bekommt alles, was sie will.« Jo lachte. Dann senkte sie die Stimme. »Ich würde dir gern etwas erzählen. Ich habe jemanden kennengelernt.«
    Das ließ Katharina aufhorchen. Vom Kennenlernen erzählten sonst nur Luise und Jette, die überzeugt davon waren, dass demnächst ein Prinz oder wenigstens ein Hamburger Großkaufmann sie vom Fleck weg

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