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Im Land der gefiederten Schlange

Im Land der gefiederten Schlange

Titel: Im Land der gefiederten Schlange Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: carmen lobato
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formierten sich zur Polka. Luise strahlte vor Stolz mit dem Christbaum um die Wette, denn sie hatte sich den totenbleichen jüngeren Sohn des Konsuls geangelt. Katharina erwartete, die pfirsichfarbene Jette in den Armen des älteren zu entdecken, doch stattdessen wuchs dieser vor ihr aus dem Boden. »Ich darf bitten?« Beim Lächeln entblößte er eine Reihe vollkommener Pferdezähne.
    Der junge Mann hieß Sigmund, tanzte entsetzlich und redete unentwegt, wobei er die kuriose Angewohnheit an den Tag legte, jeden Satz mit »ich« zu beginnen. Von seinem Rempeln und Stolpern verlor Katharina den Schwung. Sie hätte lieber mit einem der Zwillinge getanzt, die sich mit Lust in den Takt warfen, doch stattdessen prasselte der Redeschwall des Ichsagers auf sie nieder. »Ich bedaure wirklich, ich fürchte, ich bin nicht ganz eins mit dem Takt. Ich bin wohl abgelenkt durch diese Vorfälle an der Grenze. Ich verspreche, ich werde mich noch bessern.«
    »Was für Vorfälle an der Grenze?«
    »Ich hatte gerade ein Gespräch mit meinem Vater. Ich muss leider festhalten, dass Amerikas Präsident Polk ein Heer auf Mexikos Grenze am Nueces zubewegt. Ich war bereits der Ansicht, dass die Annektierung von Texas einer Kriegserklärung gleichkam. Ich habe mir auch meinen Teil gedacht, als das Treffen zwischen Präsident Herrera und dem amerikanischen Gesandten nicht zustande kam. Ich bin von daher nicht besonders überrascht …«
    Katharina stöhnte innerlich. Der Ichsager schwatzte die ewige Schwarzseherei der Erwachsenen nach, die diese offenbar brauchten, weil ihnen sonst das Leben zu langweilig war. Sie selbst fand es nicht langweilig. Es schillerte. Da waren die schöne Musik und ihr Vetter Stefan, den sie wieder zu Hause hatten, da waren der Mann mit dem Zauberkasten, die absonderliche Dame, die Jo kennengelernt haben wollte, und die noch absonderlichere Tatsache, dass Jette am Rand stand und keinen Partner abbekommen hatte. Da war immer wieder etwas Neues, mit jedem Schritt des Tanzes, kurz kurz lang, kurz kurz lang und am Ende ein Hüpfer, und dann machte die Musik eine Pause, und Onkel Fiete rief zum Partnerwechsel auf. Eigentlich war genau geregelt, in welche Richtung gewechselt werden sollte, aber der Hartmann-Lutenburg’sche Nachwuchs war zu ungestüm dazu. Alles lief durcheinander und schnappte sich, wen das Herz begehrte.
    Katharina wurde mit Onkel Fietes zweitältestem Sohn Sievert zusammengedrängt, der zwar nicht musikalisch war, aber mit Saft und Verve tanzte. Er schleuderte sie geradezu in die Schritte, und Katharina hatte ihren Spaß. Vor ihnen tanzten schüchtern Stefan und Jo, in die sie mehrmals hineinprallten, und Katharina fiel auf, was für ein nettes Paar sie abgaben. Stefans Haar hatte die leuchtende Farbe, die ihre Mutter »das Hartmann-Blond« nannte – »wie Felder voll wogendem Weizen« –, und Jos beinahe weißes Haar passte gut dazu. Sie waren beide blass, ernst und scheu, und als die Musik von neuem pausierte, warf Katharina die Arme um sie und rief: »Wisst ihr was? Ihr zwei solltet heiraten!«
    Wie seltsam das war. Das Gerede vom Heiraten, mit dem Jette und Luise ihre Tage füllten, ging ihr gehörig auf die Nerven. Woher also kamen ihr derlei Gedanken? Daher, dass sie jetzt eine Frau war? Nein, sie hatte vor Jahren schon einmal daran gedacht, und damals war es ihr als das Natürlichste von der Welt erschienen.
    Als läse er, was in ihr vorging, zog Stefan sie zu sich. »Du hast ausgesehen, als gäbe es jemanden, von dem du träumst«, sagte er.
    »Und wenn?«, entgegnete sie herausfordernd. »Erzählst du mir dann, ich bin dafür zu jung?«
    Zu ihrer Überraschung wurde Stefan ernst. »Kann man dafür zu jung sein? Ich glaube, dafür ist man höchstens irgendwann zu alt.« Gleich darauf setzte die Musik wieder ein, nur war aus der Polka ein Schottischer geworden. Stefan hatte offenbar in der Hauptstadt tanzen geübt, und Katharina vergaß für kurze Zeit die Welt um sich. Farben und Formen flogen vorüber. Aus dem Augenwinkel glaubte sie wieder Jette zu erkennen, die reglos an der Wand stand, aber das musste ein Irrtum sein, denn Jette war doch wie sie, sie konnte vom Tanz nie genug bekommen.
    Sie tanzte auch noch mit Hermann und mit dem kleinen Friedrich, der wie ein Gummiball hüpfte, und dann verklang mit einem schrägen Akkord die Musik, und Fiete stieg wieder auf die Kiste. »Genug getobt, Kinder. Jetzt setzt euch brav auf eure Plätze. Marthes Sanne teilt feine Limonade aus, und

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