Im Land der gefiederten Schlange
heiraten würde. »Wo denn, Jo?«, fragte sie verblüfft. Die Base saß doch den lieben langen Tag in ihrer Kammer, umhäkelte Taschentücher oder bespielte das Cembalo, das Katharina ihr endlich hatte übereignen dürfen.
»Nicht, was du denkst.« Jo schüttelte den Kopf. »Keinen Mann, sondern eine Dame, die bei Doktor Messerschmidt zu Gast war.«
Weiter kam sie nicht, denn in diesem Augenblick sprang Luise, die in ihrem gelben Kleid wie eine fest gestopfte Wurst aussah, vom Stuhl. »Da kommt er«, jubelte sie. »Unser Heimkehrer ist da!«
Traude sprang ebenfalls auf und begann zu applaudieren, und gleich darauf stand die ganze Gesellschaft und klatschte in die Hände, derweil Stefan sich wie ein begossener Pudel in die Tür schlich. Eine Woge von Mitleid erfasste Katharina. Einer wie Hermann hätte solchen Auftritt genossen, aber Stefan war anzusehen, dass er am liebsten im Boden versunken wäre. Er hatte sich nach der Reise umgezogen, trug einen gutgeschnittenen Gehrock, hatte jedoch vergessen, sich das Haar zu kämmen. Dass Mädchen ihn hübsch fanden, schien Stefan nicht zu kümmern. Er saß am liebsten über seinen Büchern und stopfte sich den Kopf mit Wissen voll. Katharina fiel auf, dass sie seine bedächtige Art vermisst hatte und dass er ihr von ihren Vettern der liebste war.
»Willkommen, Stefan!«, rief sie, rannte quer durch den Saal und fiel ihm um den Hals. »Komm, ich schleif dich hinüber in unsere Ecke, da kannst du verschnaufen, ehe die Meute sich auf dich stürzt. Nachher kommt ja dann auch der Daguerreotypist oder wie der heißt und macht ein Bild für alle Ewigkeit von dir …«
Stefan lachte, hob sie ein Stück vom Boden hoch, setzte sie aber sofort wieder ab, als er ihr Gewicht spürte. »Gott im Himmel, Kathi Grashüpfer, bist das wirklich du?«
»Sag nicht, ich bin eine Dame geworden.«
»Und weshalb nicht?«
»Du bist doch wohl nicht zwei Jahre lang auf die Schule für Kluge gegangen, um nachzuplappern, was jeder Dummkopf sagt.«
Wieder lachte er. »Du bist eindeutig keine Dame geworden. Du siehst höchstens wie eine aus.«
Ein wenig bemüht stimmte sie in sein Lachen ein. Sie war froh, ihn wiederzuhaben, einen Kameraden, der mit ihr plänkelte und lachte, und doch flammte mitten in der Freude ein Schmerz auf. Stefan war nett, sie kannte ihn ihr ganzes Leben, aber sich zu Hause fühlen, wie sie es einmal bei einem Menschen getan hatte, konnte sie auch bei ihm nicht.
»Etwas nicht in Ordnung, Hüpfer?«
Sie sah zu ihm auf und schüttelte den Kopf. Dies war sein Tag, den wollte sie ihm nicht durch Trübsinn verderben. Zudem hätte sie auch keine Gelegenheit erhalten, denn im nächsten Moment zerrte Tante Traude ihn am Arm von ihr weg. »Und das, lieber Herr von Eyck, ist nun endlich mein Sohn, von dem ich Ihnen erzählt habe.«
Der Konsul räusperte sich und wies darauf hin, dass sein Name kein »von« enthalte, aber Traude ging darauf nicht ein, sondern schob Stefan vor ihn hin. Der warf Katharina noch einen bedauernden Blick zu, dann schluckte ihn die Menge. Alle Basen wollten ihn begrüßen, und ausgerechnet Jette, die sonst immer die Nase vorn hatte, wurde abgedrängt. Sie taumelte, stürzte sich dann aber gleich wieder ins Getümmel, vermutlich eher, um den Söhnen des Konsuls nahe zu sein, als um Stefan willkommen zu heißen. Wie ihre Schwester trug sie ein zweiteiliges Kleid, das wirkte, als wäre der Stoff knapp gewesen, nur war das ihre pfirsichfarben. Jette liebte gezuckerte Heißwecken, und die Schleife auf ihrem Hinterteil spannte so bedenklich, dass Katharina Angst bekam, die ganze Pracht werde ratschend platzen.
Die Musiker trafen ein, ein Pianist, ein Geiger und ein Mann mit einem der neuen Akkordeons, dessen schmelzende Klänge Katharina hinreißend fand. Von irgendwoher holte Onkel Fiete eine Kiste und stieg wie ein Volksredner darauf. »Meiner lieben Schwägerin Traude sei Dank – dies ist ein erlesenes Ereignis, und wir wollen uns von Herzen vergnügen«, rief er in die Menge. »Vor allem das Jungvolk soll tanzen, was die Beine hergeben, so hübsch wie heute kommt ihr nicht wieder zusammen. Und was geschieht, wenn das Fest vorüber und das Licht erloschen ist, brauche ich euch ja nicht zu erzählen …«
»Nein!«, rief Hermann. »Erspar’s uns, Vater.« Alle lachten. Gewiss hatte der arme Onkel wieder eine seiner Geschichten von La Llorona erzählen wollen, obwohl keins der Kinder mehr klein genug war, um sich dabei zu gruseln. Die ersten Paare
Weitere Kostenlose Bücher