Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Land der gefiederten Schlange

Im Land der gefiederten Schlange

Titel: Im Land der gefiederten Schlange Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: carmen lobato
Vom Netzwerk:
von mir«, knurrte Hille, die einen Gehstock benutzte, um sich auf ihrem Thron zu halten. Über ihre bissigen Einwürfe wurde oft gelacht, aber heute blieb es still.
    Katharinas Blick wanderte von Fiete zur Mutter, die noch immer starr im Arm von Onkel Christoph stand. Mit sichtlicher Mühe bewegte sie die Lippen, und Katharina sah, dass sie »nein« sagte. Nein, nein, nein. Fiete hörte natürlich kein Wort, sondern erzählte weiter von persischen Schiffen, die über tosende Wellen segelten, um das Land der Griechen zu erobern, von dem Sturm, der die stolze Flotte erfasste, ihre Masten zerbrach und ihre Planken leckschlug, und von rasenden Fluten, die Schiffe und Männer in die gnadenlose Tiefe des Vergessens rissen. Die Mutter schwankte. Katharina fürchtete, sie werde in Ohnmacht fallen.
    »Fiete, lass das doch«, erbarmte sich Onkel Christoph. »Marthe will es nicht hören.« Aber Fiete, der sich in Schwung geredet hatte, hörte ihn nicht. Im nächsten Augenblick betrat Traude mit den neuen Gästen den Raum. Nicht nur Fiete, sondern jegliches Gemurmel verstummte.
    Seltsam war, wie Traude den beiden voranging – nicht mehr stolz und energisch, sondern gebeugt. Der Handelsagent, der ihr folgte, hatte stahlgraues Haar und war für einen Mann seines Alters und Standes auffallend schlank. Er hielt sich aufrecht, als hätte er einen Stock verschluckt, und ein Gleiches galt für die Dame, die an seiner Seite eintrat und seine Gattin sein musste. Katharina glaubte zu hören, wie die Versammlung den Atem anhielt. Die Besucherin trug ein Kleid, dessen Seide wie polierte Bronze schimmerte. Mit ihrer Wespentaille war sie graziler als jede Frau im Saal, und sie hatte ihr Haar wie eine griechische Göttin auf den Kopf getürmt. Ihr Gesicht war so scharf geschnitten, dass man den Blick nicht abwenden konnte. Mit ihren schwarzen Augen sah sie den Gaffern ohne Scheu, doch auch ohne verbindliches Lächeln entgegen.
    Die Frau des Handelsagenten von Schweinitz war keine Weiße, nicht einmal eine Mestizin. Sie war eine Eingeborene. Eine Indio-Frau.
    Das Schweigen, das den Raum erfüllte, schien ein Gewicht zu haben und ihnen auf Nacken und Schultern zu lasten. Katharina wagte kaum zu atmen. Für die Frau ist es schlimmer als für uns, durchfuhr es sie. Wir glotzen sie an wie das zweiköpfige Kalb im Raritätenkabinett. Die Frau aber stand still da und wartete ab. Ihre Miene war gelassen und ein wenig hochmütig, als würde das, was um sie vor sich ging, ihr nichts bedeuten.
    Endlich bewegte sich der Konsul, trat um den Weihnachtsbaum herum und ging mit schweren Schritten auf das Paar zu. Er nahm die Hand der Frau, die in einem bronzeroten Handschuh steckte, in seine und hauchte einen Kuss darauf. Von irgendwoher drang ein erstickter Laut des Entsetzens.
    »Der Vetter meiner Frau, Claudius, Baron von Schweinitz«, stellte der Konsul den Neuankömmling vor. »Und seine Gemahlin, Baronin Micaela.«
    Die Sanne blieb bockbeinig bei dem Tisch mit den Getränken stehen, aber ein anderes Mädchen, das für den Abend angeheuert worden war, trippelte mit einem Tablett auf die Gäste zu. Katharinas Vater schickte sich an, das Paar, wie es die Höflichkeit gebot, zu begrüßen. Onkel Christoph wollte sich anschließen, doch die Mutter hielt ihn fest. Die Übrigen kehrten zu ihren Plätzen zurück und widmeten sich ihren frisch gefüllten Gläsern. Offenbar stand fest, dass an diesem Abend niemand mehr tanzen würde.
    Der Rest des Festes, das so feurig und hoffnungsvoll begonnen hatte, versickerte wie ein verschüttetes Lieblingsgetränk. In kleinen Gruppen standen Gäste beieinander und sprachen mit gedämpften Stimmen. Verstohlen warf ein jeder Blicke nach der Baronin, die scheinbar unbekümmert mit der Frau des Konsuls plauderte. Katharina tat es weh, sie anzusehen. Sie fand sie schön, obwohl sie doch offensichtlich das Gegenteil war mit ihrer dunklen Haut, dem tintenschwarzen Haar und den wie in Holz geschnitzten Zügen. »Unglaublich, was?«, empörte sich Hermann. »Das ist ein Mann aus hanseatischem Adel. Was hält der sich zu Hause – eine Menagerie?«
    Niemand gab Antwort. Katharina sah zur Seite, zu Jette, die für gewöhnlich nicht auf den Mund gefallen war. Jetzt aber hielt sie den Kopf gesenkt, als würde sie dem Bruder nicht zuhören. Eine Haarsträhne war ihr aus der sorgsam arrangierten Frisur gerutscht und hing ihr schlaff in die Stirn. War sie eingeschlafen?
    »Jette«, rief Katharina, packte ihren Arm und rüttelte sie.

Weitere Kostenlose Bücher