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Im Land der gefiederten Schlange

Im Land der gefiederten Schlange

Titel: Im Land der gefiederten Schlange Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: carmen lobato
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festhielt, so glücklich waren. So schön wie heute kamen sie nicht mehr zusammen, hatte Fiete gesagt. Während sie auf ihre Plätze zurückkehrten, musterte Katharina ihre Basen von der Seite. Ja, der lustige Onkel hatte recht, sie waren schön, eine jede auf eigene Art. Luise so gesund und sorglos, Helene, die ihre Brille wieder aufgesetzt hatte, überlegen und erwachsen und Jo zart wie eine Elfe aus dem Märchenbuch. Die Schönste von ihnen war ohne Zweifel Jette, auch wenn die Pfirsichfarbe ihre Gesichtshaut gelb machte.
    Und ich?, durchfuhr es sie. Findet jemand mich schön? Ihre Mutter und Lise jammerten über ihr Haar, und die Sanne hatte ihr von klein auf beteuert, sie sei
trotz allem
ihr liebenswertes Fräulein. Schön wie Jette mit ihrem herzrunden Gesicht und dem Haar wie dunkler Honig war sie wahrlich nicht, aber dennoch drehten sich Menschen nach ihr um. Ich habe etwas an mir, dachte sie nicht ohne Stolz – sie hatte diesen Ausdruck von Onkel Fiete gehört. Unsere Kathi hat etwas an sich. Sie hätte nicht tauschen wollen.
    »He, Jette, wolltest du nicht mit dem Esel im Rüschenhemd tanzen?« Felix, der jüngste der Hartmann-Brüder, war damit beschäftigt gewesen, mit einem Bleistift auf ein Stück Papier zu kritzeln, blickte jetzt aber hoch und wies auf den Ichsager, der unter dem Fenster auf seine Walzerpartnerin wartete. »Der passt doch zu dir, Gleich und Gleich gesellt sich gern.«
    Schnaufend ließ Jette sich auf ihren Stuhl plumpsen. »Wer hier der Esel ist, fragt sich«, blaffte sie zurück, wobei sie zwischen den Worten erneut Schnauflaute ausstieß. »Und du rede nicht dumm daher, Grüngemüse. Hol mir lieber ein Glas zu trinken.«
    »Champagner?«, fragte Felix neidisch, denn im Gegensatz zu seiner Schwester durfte er noch keinen Alkohol trinken.
    Jette schüttelte den Kopf, zeigte auf den Krug mit Limonade und lehnte sich zurück. Die schwelgenden Klänge des Walzers setzten ein. Der arme Ichsager blickte sich ratlos nach allen Seiten um.
    Onkel Fiete tanzte mit Tante Dörte, Stefan mit Tante Traude und Onkel Christoph mit Katharinas Mutter. Ihr Vater tanzte nie, und Tante Inga saß allein auf einem Schemel und betrachtete ihre Hände im Schoß. Die Musik stieg Katharina zu Kopf, sie fühlte einen angenehmen Schwindel, und ihre Füße tappten im Rhythmus wie Wesen mit eigenem Leben.
    Ein klirrender Schlag durchbrach die Melodie. Sofort darauf ertönte ein Schrei. Die Tanzenden erstarrten in der Drehung wie die Schlossbewohner bei
Dornröschen.
Vielleicht glaubten sie, es sei geschossen worden, auch wenn in Veracruz letzthin Ruhe herrschte, oder sie nahmen noch Schlimmeres an. In Onkel Fietes Geschichten spie der Orizaba, der weiße Riesenberg, Glut und Feuer, und die Erde bebte, wenn der gefiederte Schlangengott Rache nahm. Katharina aber wusste, was geschehen war, sie hatte es gesehen. Ein weißer Vogel, eine große Taube, war aus dem Dunkel gegen das Fenster geflogen und hatte sich an der Scheibe den Kopf eingeschlagen. Ein Rinnsal Blut troff die Scheibe hinunter, und eine Handvoll Federn wirbelte durch die Schwärze der Nacht.
    Es war Katharinas Mutter, die geschrien hatte und die jetzt wie versteinert mit dem Rücken zur Wand stand. Katharina wollte zu ihr laufen, noch lieber wollte sie, dass der Vater zu ihr ging und sie aus ihrer Starre weckte, doch es war Onkel Christoph, der den Arm um sie legte und tröstend auf sie einsprach. Die Mutter stand da, als würde sie ihn kaum bemerken. Die Musik hatte ausgesetzt.
    »Kein Grund zur Unruhe«, rief Onkel Fiete und kletterte eiligst auf die Kiste. »Das bedauernswerte Vöglein flog ja nicht aus böser Absicht in den Tod.«
    »Warten Sie«, rief Tante Traude den Musikern zu. »Ich höre Gäste an der Tür, das muss die Familie von Schweinitz sein.«
    Damit stürmte sie aus dem Raum und überließ das Feld wieder Fiete, der sich den Brustkorb voll Luft blies. »Da wir beim Schwingen des Tanzbeins ohnehin unterbrochen worden sind, haben wir Zeit, des armen Täubchens in einer Geschichte zu gedenken. Hat die verehrte Gästeschar gewusst, dass die Taube in den dunklen Jahrhunderten vor der Geburt des Herrn zwar in dieser Gegend verbreitet, in unserer europäischen Heimat aber völlig unbekannt war? Es war der persische Großkönig Darius, der sie auf den Schiffen seiner Flotte an die Küsten des hellenischen Meeres brachte – wenn auch, ohne einen Deut davon zu wissen …«
    »Wenn sich mal einer um Kopf und Kragen schwatzt, dann dieser Sohn

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