Im Land der gefiederten Schlange
lachte mit, wobei es Benito ungeniert in die Augen sah. »Aber dass er so hübsch ist, hast du mir nicht gesagt.«
»Du schlimmes Tierchen. Jetzt hast du ihn in Verlegenheit gebracht.«
Wütend spürte Benito, wie ihm die Hitze in die Wangen stieg. Carmen schob ihre Hand in seine und streichelte seinen Handrücken, was ihn seltsamerweise noch wütender machte. »Hast du Ausgang?«, fragte er Miguel.
Der Bruder nickte, gab das Mädchen frei und knöpfte die Jacke seiner Uniform auf. »Bis um zehn. Und ich habe uns etwas Feines mitgebracht, um den Abend zu genießen.« Der zurückgeschobene Jackenaufschlag enthüllte eine dunkle Flasche. »Meinst du, wir finden ein Plätzchen, wo uns nicht die halbe Stadt zusieht?«
Ein Plätzchen finden, das bedeutete, dass sie in die Calle de Hidalgo im Hafenviertel gehen würden, wo Benito ein Zimmer bewohnte. Das Haus war eines der wenigen, die nicht der Kirche gehörten, sondern einer Witwe, die den halben Tag lang für den Straßenverkauf kochte. Anders als die meisten Gebäude der Kolonialzeit war es nicht einstöckig um ein Patio gebaut, sondern duckte sich schlank und hoch wie ein deutsches Haus unter Dachgiebel, und unter diesen Giebeln hatte er sein Zimmer. Gerüche nach billigem Essen sammelten sich dort, und während der langen Sommermonate wurde es so heiß, dass er sich wie einer der Schnappbarsche fühlte, die à la Veracruziana gesotten wurden. Dennoch mochte er das Zimmer. Es hatte gelb gestrichene Wände und war seine Austernschale, in die er sich verkriechen konnte. Er nahm nicht gern Menschen dorthin mit, nicht einmal Carmen und Miguel, doch was blieb ihm übrig? Mit einem Schulterzucken wandte er sich zum Gehen.
»Hola«, rief Miguel ihn zurück, »ich habe euch ja noch nicht einmal vorgestellt. Inez, mi Corazon, das ist mein ungehobelter Bruder Benito, über den ich dir die Ohren vollgeklagt habe, und dies ist seine Verlobte Carmen, die langmütigste unter den Frauen.« Er ergriff Carmens Hand und küsste sie. »Benito und Carmen, diese süße Perle ist Inez, die Base eines Kameraden. Und mein herzallerliebstes Mädchen.«
Die letzten Worte unterstrich er mit einem derart seligen Strahlen, dass Benito ihm alles verzieh. Das dumme Gewäsch, die Verehrung für den Schwächling Paredes und die Dreistigkeit, Carmen seine Verlobte zu nennen. So gern er wie ein Weiberheld auftrat, hatte Miguel es mit den Frauen schwer. Er war sichtlich bis über beide Ohren verliebt, und Benito gönnte es ihm. Was immer er sonst sein mochte, Miguel war treu wie kein Zweiter, und er hätte für jeden, den er liebte, sein Leben geopfert. Er hatte es verdient, glücklich zu sein.
Benito streckte Inez die Hand hin. Statt einzuschlagen, klopfte sie ihm auf die Finger und kicherte. »Ihr Bruder sagt, Sie sind ein Stoffel, der nichts als den Staub von Büchern kennt. Aber ich glaube, das ist nicht die Wahrheit …«
»Doch, das ist es«, erwiderte Benito, zog seine Hand zurück und genoss, wie sie vor seinem eisigen Ton erschrak.
»Was ist jetzt mit dem Mezcal?«, warf Miguel ein und klatschte auf die Flasche. »Soll der vergären, oder gehen wir den trinken?«
Sie brachen auf, Benito und Carmen voran, Miguel und Inez hinterdrein. Der Platz hatte sich geleert. Nur die Reichen und Sorglosen, die in den Cafés die Süße der Märznacht genossen, blieben im Lampenschein zurück. Die Übrigen entschlüpften in die Dunkelheit der Gassen, fanden noch eine billige Pulqueria oder legten sich schlafen, weil lange vor Sonnenaufgang die Nacht für sie zu Ende war. Sie hatten eine Viertelstunde zu gehen, und kaum lagen die ersten Schritte hinter ihnen, fiel Benito auf, dass Miguel ihn nicht gefragt hatte, was er von seinem Liebling Paredes hielt. Er musste selbst gemerkt haben, dass dieser betrunkene Schreihals für Mexiko keine Hoffnung darstellte.
Wie selbstverständlich änderte sich irgendwann die Ordnung, Miguel kam zu Benito nach vorn, und hinter ihnen gingen Carmen und Inez. »Benito«, murmelte Miguel so leise, wie er konnte.
Benito merkte auf. Wenn der Bruder ihn bei seinem Taufnamen ansprach, wurde es ernst.
»Hast du dich inzwischen gemeldet?«, fragte Miguel.
Er fing also wieder damit an. Gleich würde er ihn einen Feigling schimpfen, einen Verräter am Vaterland, und zuletzt, wenn das alles nichts half, würde er ihm ins Gesicht schleudern, er sei eine Malinche in Mannsgestalt. Es verblüffte Benito, dass es noch immer weh tat. So wie ihm die linke Hüfte manchmal weh tat,
Weitere Kostenlose Bücher