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Im Land der gefiederten Schlange

Im Land der gefiederten Schlange

Titel: Im Land der gefiederten Schlange Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: carmen lobato
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haben, und wie schwierig es ist, danach ohne ihn zu leben?«
    Sie schlug sich auf den Mund. Wie sollte die arme Jo denn davon etwas wissen? »Nein, ich habe das nicht gewusst«, erwiderte die Base. »Ich weiß es erst, seit ich Gerlinde kenne und seit Gott, der Herr, mein Freund ist.«
    Katharina stöhnte, zählte im Inneren bis fünfzehn und begann dann so ruhig wie möglich noch einmal von vorn. »Jo, kannst du nicht bitte Gerlinde und Gott, den Herrn, einen Moment lang beiseitelassen und mir sagen, was ich tun soll? Seit Monaten versuche ich mit Ben zu sprechen, aber er ist wie eine Eidechse, er gleitet mir immer wieder durch die Finger. Seine Wirtin erzählt mir, er sei ausgegangen, obwohl ich mit eigenen Augen gesehen habe, wie er im Haus verschwunden ist. Ich überlege, ob ich mich vor seine Tür setzen und die ganze Nacht warten soll. Irgendwann muss er schließlich herauskommen. Nein, Jo, fang nicht wieder mit Moral und jungen Mädchen an, denn das nützt mir nichts. Ich will nur Ben wiederhaben, ich kann Tag und Nacht an nichts denken als an Ben.«
    »Das merkt man«, erwiderte Jo. »Obwohl ich nicht glaube, dass du tatsächlich Tag und Nacht an Ben denkst. In Wirklichkeit, Kathi, denkst du Tag und Nacht an dich.«
    Solange Katharina denken konnte, war dies das erste Mal, dass die stille Jo sie kritisierte. Ungläubig starrte sie sie an.
    »Wenn du nicht willst, brauche ich nicht weiterzusprechen«, sagte Jo. »Du bist mir lieb, daran ändert sich nichts.«
    »Hör mal, falls das alles darauf abzielt, dass ich nicht mit dir zu deiner Gerlinde komme …«, fing Katharina an, brach aber ab, als sie sah, wie Josephine den Kopf schüttelte.
    »Es hätte mir viel bedeutet, wenn du mitgekommen wärst«, sagte sie. »Aber dass ich dir wichtig genug dazu bin, habe ich sowieso nicht für möglich gehalten.«
    »Jo!«, rief Katharina, doch Jo schüttelte noch einmal den Kopf.
    »Schon gut. Ich kann damit leben.«
    Katharina seufzte. »Also komm, sag’s mir. Warum meinst du, ich denke Tag und Nacht nur an mich?«
    »Wir sind im Krieg«, antwortete Jo. »Die Nordamerikaner blockieren Mexikos Küste, und unsere Eltern machen sich Sorgen. Daran zum Beispiel denkst du keinen Moment lang.«
    »Du meinst wohl, dein Vater macht sich Sorgen«, erwiderte Katharina. »Und der würde sich noch Sorgen machen, wenn hundert Jahre Frieden herrschte und ihm das Geld bis zum Hals stünde. Mein Vater dagegen sagt, wir haben reichlich Rücklagen, um die paar Wochen Blockade durchzustehen, und meine Mutter sagt, dieser Krieg geht uns nichts an.«
    Jo hatte zu lächeln aufgehört. »Es ist nicht böse gemeint«, sagte sie, »aber ich glaube, deine Mutter denkt auch recht viel an sich. Wie kann sie sagen, der Krieg gehe uns nichts an? Leben wir nicht in diesem Land, sind die Leute, die in diesem Krieg sterben, nicht unsere Nachbarn? Bei Gerlinde beten wir für sie. Auch für die Nordamerikaner, denn viele von ihnen sind Protestanten wie wir.« Katharina wollte zu einer Entgegnung ansetzen, doch dieses eine Mal war Josephine schneller. »Du bist verwöhnt, Kathi. Deine Eltern haben dir beigebracht, dass die ganze Welt sich um dich dreht. Das ist nicht deine Schuld, und es hat auch etwas Liebenswertes, aber wenn ein Mensch es anders sieht, wirst du das hinnehmen müssen. Du sagst, du denkst an Ben. Würdest du jedoch wirklich an ihn und nicht an dich denken, dann würdest du ihm die Ruhe lassen, die er sich offensichtlich wünscht.«
    Von dieser Seite hatte Katharina es nie betrachtet. »Aber ich muss ihm doch sagen, dass es mir leidtut«, verteidigte sie sich.
    »Für wen musst du? Für dich oder für Ben? Wenn er das alles vergessen möchte, ist das nicht verständlich? Solltest du es nicht respektieren, da dir so viel an ihm liegt?«
    Katharina überlegte. Jos Erklärung klang so schlicht und einleuchtend, dass sie sich ihr kaum entziehen konnte. Wenn Ben sie nicht mehr kennen, wenn er seine Zeit mit Miguel und den beiden Mädchen verbringen wollte – hatte er darauf nicht ein Recht? Andererseits tat der Gedanke, ihn aufzugeben, so weh, dass sie erschrak. Jäh sah sie ihn vor sich, wie er erhitzt vor Zorn die Treppe hinaufgestürmt war, das Haar wirr, die schwarzen Augen funkelnd. Das Bild weckte in ihr ein solches Verlangen, ihn wiederzuhaben, dass ihre Fäuste sich ballten. Jo hatte recht. Sie war es gewohnt zu bekommen, was sie wollte, und dass es gerade diesmal misslingen sollte, ertrug sie nicht.
    »Wenn es so ist, soll er mir das

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