Im Land der gefiederten Schlange
Geld braucht, blicken lässt, und um Xochitl und die Mutter, falls du das vergessen hast. Da reicht es oft nicht einmal für das Nötigste.«
»Hast du nicht Erspartes?« Miguels Stimme klang beinahe flehend. »Hör mal, ich soll bald monatlich zwanzig Pesos erhalten, und dann zahle ich dir alles zurück, das verspreche ich dir.«
»Und was musst du für diese zwanzig Pesos bezahlen?« Er packte Miguel um den Knöchel und hob dessen Fuß in die Höhe. Die Sohle seines Stiefels war durchlöchert, es grenzte an ein Wunder, dass er nicht auseinanderfiel. »Vor dem Ende des Sommers wirst du dir Schuhe und wärmere Wäsche kaufen müssen. Wenn du von deinen zwanzig Pesos jemals etwas zu sehen bekommst, wirst du jeden Centavo davon brauchen.«
»Was willst du von mir? Dass ich desertiere, wie so viele es tun?« Miguels Blick wurde hart, aber die Verzweiflung, die darin lag, ließ sich nicht übertünchen. »Weißt du, was sie mit mir machen würden, wenn ich es täte? Als Verräter an den nächsten Baum knüpfen würden sie mich – soll ich das meiner Mamacita und meiner süßen Inez antun?«
»Es gäbe Möglichkeiten, dich zu verstecken«, probierte Benito es ohne viel Hoffnung. Die Soldaten desertierten in Scharen, nach einem einzelnen Gefreiten würde niemand suchen.
»Ich wäre ein Landesverräter.«
»Aber ein lebendiger«, konterte Benito.
Miguel stützte den Kopf in eine Hand, als fiele es ihm schwer, ihn ohne Hilfe zu schütteln. »Ich kann das nicht tun, kleiner Bruder. Wir haben keinen Vater, keinen Paten, niemanden, dessen Namen wir mit Stolz nennen dürfen. Ich will, dass ihr wenigstens stolz auf mich sein könnt.«
Eine Woge von Zorn erfasste Benito. »Stolz auf hungernde Frauen, auf zerstörte Städte?«, entfuhr es ihm, und obwohl es ihm gleich darauf leidtat, fügte er nichts hinzu, um es zu mildern.
»Dazu kommt es doch nicht«, beteuerte Miguel. »Aber das Gebiet, das die Gringos uns abnehmen wollen, umfasst bald die Hälfte unseres Landes. Wie können wir ihnen denn das erlauben?«
»Sie wollten uns Geld dafür geben«, versetzte Benito kalt. »Geld, das wir ihnen und anderen Ländern schulden und das wir dringend brauchen, um unser Volk zu versorgen. Das Land, um das es geht, konnten wir nicht einmal besiedeln. Wir brauchten die Amerikaner dazu, und ich wette, von diesen Witzfiguren von Präsidenten weiß keiner auch nur, wo dieses Land überhaupt liegt.«
Miguel schwieg eine Weile. Dann zog er den Topf mit der Mole zwischen seine Beine und schloss liebkosend die Hände darum. »Der Zynismus steht dir nicht, weißt du das?«, fragte er. »Du bist zu jung dazu und hast ein zu schönes Gesicht. Der herzzerreißend süße Junge, der du warst, ist noch in dir, ob es dir schmeckt oder nicht. Du solltest Carmen heiraten und dich von ihr lieben lassen, wie meine Inez mich liebt.« Wie zum Beweis steckte er wieder den Finger in die Soße. »Du brauchst eine gute Frau, die dir zärtlich den Kopf zurechtsetzt, ehe dieser Zynismus, den die Deutschen dir in den Leib geprügelt haben, dich frisst.«
Benito starrte auf den Boden vor sich. Ihm war, als überzöge sein Gesicht sich mit brennender Röte, was seinen Zorn noch steigerte. Mehrmals öffnete er den Mund, um dem Bruder an den Kopf zu werfen, wie seine Inez in Wahrheit zu ihm stand. Stattdessen nahm er ein Glas Walnüsse in grünem Pfeffer und einen Nierenwärmer aus dem Rucksack. »Hier, das schickt dir die Mutter«, sagte er tonlos und schob Miguel beides zu. Die Nüsse hatte er auf dem Malecon gekauft, und die Wollschärpe hatte Carmen gewebt. Die Mutter wusste nicht einmal, dass ihr Liebling einer Armeeeinheit von Selbstmördern beigetreten war, denn Benito hatte noch nicht den Mut gefunden, es ihr zu erzählen.
Miguel öffnete das Glas und sog die Würze der Walnüsse ein, als hinge der Duft der Mutter darin. Anschließend goss er vom Mezcal etwas in einen fingerhohen Becher und stellte ihn Benito hin. »Trink, kleiner Bruder. Mit all den Sorgen, die wir haben, sind ein Glas und ein Lied ein Segen.«
Benito erwiderte nichts. Er sah Miguels Hand an, die die seine nahm und um den Becher schloss. Dann hörte er Schritte im Rücken, drehte sich um und sah Carlos, der hinter ihnen stand. »Lust auf ein Spiel?«, fragte er unsicher und ließ einen Packen Conquian-Karten gegen seinen Handballen schnappen. Sehnsucht lag in seiner Stimme, nach dem Mezcal und dem Tabak wie nach ein wenig Gesellschaft.
»Aber sicher«, beeilte Benito sich zu
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