Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Land der gefiederten Schlange

Im Land der gefiederten Schlange

Titel: Im Land der gefiederten Schlange Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: carmen lobato
Vom Netzwerk:
Benito nicht ernst nahm, besorgt herbeieilen. Inez kippte mit dem Schemel nach hinten, lehnte sich gegen die Wand des Verschlags und schloss die Augen, als wäre ihr sterbenselend.
    Schritte näherten sich, allerdings keine schnellen, wie sie sie von Carmen kannte, sondern gemächliche, schwere. Wohl oder übel musste Inez die Augen öffnen und in ihrer unbequemen Lage den Hals verdrehen, um den Ankömmling zu mustern.
    »Was tust du denn da? Übungen für die Gelenkigkeit wie unsere heldenhaften Soldaten?«
    Juan. Das war noch besser als Carmen. Seit Wochen hatte sie mit ihm sprechen wollen, hatte es jedoch niemals geschafft, ihn allein zu erwischen. Inez kippte mit dem Schemel wieder nach vorn und straffte die Schultern. »Gut, dass du kommst. Du kannst diese Schweinearbeit für mich fertigmachen.«
    »Weshalb sollte ich das denn wohl tun?« Juan hatte ein spitzes, dunkles Gesicht, dem man ansah, das ihm jeder edle Einschlag fehlte. »Bekomme ich etwa Lohn dafür?«
    Inez zuckte mit den Schultern. »Wart’s ab.«
    Er schüttelte den Kopf. »Das hast du dir so gedacht, mein Engelchen. Aber Juan ist keiner, der sich übers Ohr hauen lässt.«
    Sie hasste sein Spanisch. Es war schwer und verwaschen, und wann immer es ihm von Vorteil schien, verfiel er in das gebrochene Gestammel, das in den Bergdörfern der Nahua gang und gäbe war. »Wenn du mir nicht helfen willst, verzieh dich«, blaffte sie. »Du verdirbst hier nämlich die Luft.«
    Er lachte albern auf. »Als wenn sich an diesem Mief noch was verderben ließe.«
    »Ziegen sind besser als Ratten. Sie sind wenigstens nützlich.«
    Wie um nachzudenken, kratzte Juan sich das Kinn. »Ich könnt mich schon auch nützlich machen, wenn die rechte Belohnung dabei herausspringt. Was würdest du denn zum Beispiel unserem Freund Nasehoch dafür geben, dass er dir deine Euter leer presst? Einen Kuss etwa? Engelchen, dafür täte ich’s auch.«
    Inez biss sich auf die Lippe. War so offensichtlich, dass ihr der schöne Benito im Kopf herumging? So oder so war es nicht ratsam, sich Juan zum Feind zu machen, denn bei ihm gab es etwas zu holen, das sie mit ein wenig Glück aus dem Ziegenstall heraus und Benito näher bringen würde. Und wenn sie erst Benito hatte, würde sie spielend alles andere bekommen. Benito war wie sie, er wollte hoch hinaus, und er war kein Versager wie sein Bruder, sondern würde das, was er sich vornahm, auch erreichen.
    »Wie steht’s, Engelchen?«, fragte Juan mit schiefgelegtem Kopf.
    »Schlecht steht’s«, versetzte Inez. »Ehe ich dich küsse, nehme ich lieber einen Ziegenbock.«
    »Oho! Das hat gesessen.«
    »Dann hat es seinen Zweck erfüllt. Und jetzt sprechen wir von etwas anderem, einverstanden?«
    Er seufzte. »Habe ich eine Wahl?«
    »Nein.« Sie drehte den Schemel herum, so dass sie ihm gegenübersaß. »Hör zu, ich weiß, dass du von meinem Vetter einen Auftrag übernommen hast, einen, den er schon ausgeführt hat, als er noch ein grüner Junge und ich ein Wickelkind war.«
    »So?« Juan zuckte mit den Schultern. »Mein Name ist Hase.«
    »Und meiner ist Jägerin.« Ihre Augen wurden zu Schlitzen. »Spiel nicht den Ahnungslosen, darin bist du schlechter, als du glaubst. Mein Vetter Carlos, der Einfaltspinsel, kann vor mir nichts geheim halten. Ich weiß, dass er einmal im Jahr, im Mai, ein verdammtes Päckchen von hier nach Querétaro schleppt. Früher, als er bei uns im Dorf wohnte, ist er jedes Jahr den weiten Weg hierhergezockelt, um dieses Päckchen abzuholen. Nach ein paar Jahren ist er dann hiergeblieben, aber einmal im Jahr kam er zuverlässig wie der Regen zurück, und immer hatte er das Päckchen dabei. Mein Vetter Carlos ist ein armer Schlucker wie du, doch einmal im Jahr kam er mit Geschenken wie der König von Spanien und zahlte unsere Schulden. Also muss jemand für diesen Botendienst ein Vermögen hinblättern. In dem Päckchen sind ganz sicher keine Kaktusstrünke.«
    »Das soll mich für den braven Carlos freuen«, sagte Juan. »Aber was um alles in der Welt habe ich damit zu tun?«
    »Er hat es nicht mehr«, erwiderte Inez. »Er ist in dem albernen Krieg und kann keine Päckchen mehr spazieren tragen. Er hat dich gebeten, es für ihn abzuholen und nach Querétaro zu bringen, aber dazu hättest du zwei Wochen unterwegs sein müssen, und so lange warst du nie von hier weg. Du hast es unterschlagen.«
    Juan hob die Hände. »Gütiger Himmel, was denkt mein Engelchen von mir!«
    Inez spuckte aus. »Ich habe dir schon einmal

Weitere Kostenlose Bücher