Im Land der gefiederten Schlange
Begrenzungen bildeten, waren geschlossen und verrammelt. Neben dem Brunnen drängten sich weitere Männer im Kreis um eine aus Latten errichtete Absperrung. In ihren Gesichtern schienen sich sämtliche in Veracruz vertretenen Züge zu vereinen. Sie mussten Mestizen sein, Mischlinge, weder der hellhäutigen spanischen Rasse zugehörig noch einer dunklen indianischen.
Die Absperrung war nicht mehr als kniehoch und der Bereich, den sie umgab, nicht größer als fünf Schritt im Durchmesser. Die Männer standen nicht, sondern knieten in zwei Trauben einander gegenüber. Vor beiden Gruppen hingen je drei Körbe aus Metall, so eng geflochten, dass man keinen Blick hinein erhaschen konnte. Die Körbe bewegten sich. Sie sprangen auf und ab wie Ballons, obwohl sie um vieles schwerer sein mussten.
Ben blieb stehen und sah sich nach allen Richtungen um. Offenbar war er versehentlich auf diesen Platz geflohen und konnte jetzt keinen Ausweg entdecken als den, auf dem Katharina ihm entgegenkam. Wie ein Stück Wild wirkte er, das sich umzingelt findet und die Wahl hat, in welche der Kugeln es läuft. Katharina ging weiter, ohne sich um seine Not zu scheren. Sie war und blieb die Neugier in Person. Trotz des Schlamassels mit Ben wollte sie wissen, was in der Absperrung vor sich ging und was in den sonderbaren Körben war. Einer der Männer, der einen ausgefransten Strohhut trug und sich an einem der Körbe zu schaffen machte, bemerkte sie und drehte sich um.
»Ichtaca!«, rief Ben.
In Katharinas Ohren wurde ein ungeheures Triumphgeheul laut. So war es also! Wann immer er die Kontrolle verlor und seinen Hass vergaß, entfuhr ihm der Kosename. Der Mann mit dem Strohhut rief ihr etwas zu und grinste. Mit Bedacht machte sie noch zwei Schritte auf ihn zu.
»Callate!«, schrie Ben den Mann an wie vorhin Katharina. »Halt dein Maul.« Dann sprang er zu ihr, packte sie mit schmerzhafter Heftigkeit am Arm und zerrte sie an einen freien Platz hinter der Absperrung. »Los, sieh es dir an, wenn es das ist, was du willst«, befahl er ihr auf Deutsch. »Sieh dir das dreckige Spektakel an.«
Der Mann mit dem Strohhut lachte.
Katharina versuchte ihren schmerzenden Arm zu befreien, aber Ben hielt sie erbarmungslos fest. »Was ist das?«, fragte sie, den Blick auf den Mann mit dem Strohhut gerichtet, der jetzt über die Absperrung trat, sich auf den mit Sand bestreuten Boden hockte und einen der Körbe vom Haken löste.
»Hahnenkampf.« Katharina fuhr herum und sah in Bens grimmiges Gesicht. Als der Mann die Klappe des Korbs öffnete, senkte er den Blick. Der Mann griff in den Korb und zerrte ein wild flatterndes, sich wehrendes Tier heraus, dessen gelbe und schwarze Federn flogen. Mit einer Hand hielt er es um den Hals gepackt, mit der anderen mühte er sich, ein blinkendes Metallteil an dem Fuß des Hahns zu befestigen. Auf der anderen Seite hatte ein Mann dieselbe Prozedur mit einem schwarz-roten Hahn begonnen. Als der mit dem Strohhut die Hand von dem Metallteil hob, sah Katharina, dass es eine scharf geschliffene, gebogene Klinge war.
Um beide Fesseln wurden den Hähnen solche Sporen gebunden, wobei die Männer wüste Flüche ausstießen. In der Zwischenzeit riefen die Übrigen einander Anweisungen zu, Geld wechselte den Besitzer, und bunte Stofffetzen wurden ausgegeben. »Schließen sie Wetten ab?«, fragte Katharina.
Ben nickte, ohne aufzublicken. »In dieser Stadt kannst du auf alles wetten. Gewiss auch darauf, wen der Krieg als Erstes in Stücke reißt, Nordamerika oder Mexiko.«
Eine Glocke läutete. Augenblicklich verstummten sämtliche Gespräche. Selbst die Luft schien vor Spannung zu zittern. Ein Kampfrichter sprang über die Absperrung und gab den Männern ein Zeichen, die Hähne loszulassen. Wie aus Katapulten geschleudert, schnellten die Tiere aufeinander zu. Gleich darauf sah man nichts mehr als ein ineinander verkeiltes rot-schwarz-gelbes Knäuel und eine Wolke fliegender Federn. Blut spritzte und verfärbte den Sand. Die Menschenmenge blieb still, nur das Kampfgeschrei der Tiere schrillte in den Ohren.
Für Momente taumelten sie auseinander und ließen erkennen, was sie mit Klingen und Schnäbeln einander angetan hatten. Katharina wollte sich abwenden, aber sie tat es zu spät und erhaschte einen Blick auf den schwarz-roten Hahn, auf das aufgerissene Gesicht, die Krater, aus denen Blut in Klumpen quoll, das ausgehackte Auge. Ein Schrei entfuhr ihr. In ihrem Rücken vernahm sie noch ein anderes Geräusch. Sie drehte
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