Im Land der gefiederten Schlange
sich um und sah Ben, der sich vornüberbeugte und würgte. »Schlappschwanz«, zischte einer der Männer und lachte.
Katharina packte Ben am Arm, wie er zuvor sie gepackt hatte. »Komm, weg von hier.« Ohne sich zu verständigen, rannten sie zurück in die Gasse, aus der sie gekommen waren, von dort in eine andere Gasse und blindlings weiter, bis Katharina völlig außer Atem war und sich in einem Durchgang gegen eine Hauswand fallen ließ. Ben blieb ebenfalls stehen, beugte sich vornüber und würgte qualvoll, ohne etwas von sich zu geben. »Es ist ja vorbei«, sagte Katharina noch immer keuchend und legte ihm die Hand auf den zuckenden Rücken. »Ich habe schon wieder etwas Dummes getan, ich hätte niemals mit dir dorthin gehen dürfen.«
»Du mit mir?« Er richtete sich auf und verzog den Mund. Zum ersten Mal lag in seinem Lächeln keine Spur von Hohn. »Soweit ich weiß, bin ich mit dir dorthin gegangen. Du wolltest das elende Gemetzel doch unbedingt sehen.«
»Ja, das wollte ich, aber ich hätte mich daran erinnern müssen, dass dir von so etwas übel wird. Ich weiß noch, einmal hat die Sanne vom Markt ein Huhn mitgebracht, und du solltest es schlachten, aber du hast mit dem Beil dagestanden und dir die Seele aus dem Leib gewürgt. Sie hat dich wie eine Furie geohrfeigt, und du hast das Beil fallen lassen und bist mit dem Huhn davongerannt …«
Das Lachen blieb ihr im Hals stecken, als sie Benitos Blick bemerkte. »Hör auf«, flüsterte er, und sein Flüstern klang gefährlicher als jedes Schreien, »hör mit dem verdammten Gerede endlich auf.«
Katharina wich zurück. Sie hatte es satt. All die Fragen, die in der Luft hingen und nie gestellt werden durften. Wie gut kannte sie das aus ihrer Kindheit – das Erstarren, sobald sie eine harmlose Frage in den Raum warf, das Erbleichen, das kalte Schweigen, mit dem ihre Mutter sie strafte, als hätte sie ihr Unsägliches angetan. Und jetzt ertrug sie dasselbe von Ben – Fragen, die verboten waren, Themen, die nicht gestreift werden durften, verächtliche Kälte ohne Erklärung. Entmutigt sah sie zu ihm auf. Hass blitzte in seinen Augen, als würde er nicht die Freundin betrachten, mit der er Jahre seines Lebens geteilt hatte, sondern eine Verbrecherin, der er Übles an den Hals wünschte. Es ist genug, befand sie. Endlich genug.
Worum ging es überhaupt? Worum war es damals gegangen? Um etwas Verworrenes, Undurchschaubares, das ihre Eltern und seine Mutter betraf, nicht sie beide. Und für diese Schimäre, die Katharina nicht einmal zu benennen wusste, warf er ihre Freundschaft von damals ebenso weg wie den Schatz, den sie heute hätten teilen können. Sie hatte keine Kraft mehr, dagegen anzukämpfen, sie musste einsehen, dass sie verloren hatte.
»In Ordnung, Ben«, sagte sie. »Ich glaube, ich habe es begriffen. Du willst mich lieber mit Blicken vernichten, statt mir zu erklären, womit ich dich verletzt habe, so dass ich es in Zukunft vermeiden könnte. Du willst mich auch nichts fragen und meine Erklärungen nicht hören. Viel lieber vergräbst du dich in deinen fünf Jahre alten Hass und klagst ein Kind dafür an, dass es in einem schlimmen Augenblick nicht wusste, was zu tun war. Ja, das ist es, was du tust, denn ich war ein Kind. Ich hätte stark sein müssen, ich hätte meinen Vater aufhalten müssen, aber verdammt noch mal, ich war zu Tode erschrocken und zehn Jahre alt!« Sie hatte ohne Pause gesprochen, so dass sie jetzt innehalten und nach Atem ringen musste. In sein Gesicht zu sehen wagte sie nicht, hob jedoch eilig die Hand, um ihn an einer Antwort zu hindern. Um keinen Preis wollte sie sich abhalten lassen, ihm auch dieses Letzte noch zu sagen. »Dass du so sein könntest, so albern und ungerecht, habe ich nicht geglaubt. Deshalb habe ich dich den Sommer lang verfolgen müssen und war nicht fähig, aufzugeben, weil ich noch immer überzeugt war, wenn du erst wüsstest, wie furchtbar das alles für mich war und wie ich dich vermisst habe, würdest du mich wieder bei dir haben wollen. Ich dumme Gans habe gedacht, dass das, was wir hatten, für dich genauso kostbar war wie für mich und dass ich dir ebenso gefehlt habe.« Noch einmal holte sie Atem, dann brachte sie den Rest heraus. »Aber ich habe mich eben geirrt, und jetzt bin ich kein Kind mehr. Ich lasse mich von niemandem mehr herumstoßen, von meinen Eltern nicht und von dir erst recht nicht. Ich bin aus freien Stücken zu dir gekommen, weil ich nicht länger erlauben wollte, dass ein
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