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Im Land der gefiederten Schlange

Im Land der gefiederten Schlange

Titel: Im Land der gefiederten Schlange Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: carmen lobato
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»Kathi«, murmelte er lahm, machte jedoch keine Anstalten, zu ihr zu kommen.
    Stattdessen lief sie zu ihm. »Besuchst du hier die Leute, für die du arbeitest?«, fragte sie betont beiläufig. »Musst du denen etwas bringen?«
    »Ja, ja«, erwiderte er allzu hastig, »ich musste etwas abgeben, bei Frank & Temperley, dem Handelshaus, für das ich arbeite.«
    »Wo ist das denn?«
    Vage wies Stefan in die Gasse, in der Helen wohnte.
    »Dort hinten? In dem letzten Haus?«
    Stefan schüttelte den Kopf. »Nein, in dem hohen in der Mitte.«
    »Das ist ein Wohnhaus«, stellte Katharina fest. »Hier sind nur Wohnhäuser.«
    Ihre Blicke trafen sich. Das, was in den Augen von Stefan flackerte, erkannte Katharina sofort: Es war Furcht. Sie legte ihm die Hand auf den Arm. »He, ich bin doch nicht deine Mutter«, sagte sie, und in dem Wunsch, einen Verbündeten zu haben, fügte sie hinzu: »Genauso gut könntest du ja mich fragen, was ich hier treibe, denn du siehst mich auch nicht zum ersten Mal, habe ich recht?«
    »Nein«, erwiderte er, als fiele ihm ein Stein vom Herzen. Sein Gesicht verzog sich zu einem Lächeln. »Wir sind zwei Geheimniskrämer vor dem Herrn, was? Wollen wir es dabei belassen, Kathi? Wollen wir uns das versprechen?«
    »Was?«
    »Dass das hier unser Geheimnis bleibt und wir den anderen kein Wort davon sagen.«
    »Nur einander?«
    Kurz zögerte Stefan, dann stimmte er zu: »Einverstanden. Nur einander.«
    »Du zuerst oder ich?«
    Er blickte zu Boden, ohne zu antworten. Dennoch entging Katharina nicht, dass er bis unter die Haarwurzeln errötete.
    »Also gut, dann eben ich. Ich bin wegen eines Mannes hier. Das hast du dir gedacht, oder nicht?«
    Stefan schwieg und schluckte. »Du bist ziemlich jung dafür«, presste er endlich heraus.
    »Ach wirklich? Ich werde nächstes Jahr fünfzehn. In dem Alter ist manche schon verlobt. Und außerdem – hast nicht du mir erklärt, dafür kann man nicht zu jung sein, sondern höchstens irgendwann zu alt?«
    Verblüfft sah er auf. »Du hast recht«, gab er zu. »Ich war auch noch nicht fünfzehn, als ich …«
    »Als du das Mädchen kennengelernt hast, das du hier besuchst?«, beendete Katharina probeweise seinen Satz.
    Er schüttelte den Kopf. Sein Gesicht wirkte angespannt, seltsam gequält. »Nein, als ich gelernt habe … als ich gelernt habe, was begehren heißt. Aber ich sollte so nicht zu dir sprechen, ich sollte das wirklich nicht, denn für ein Mädchen ist es anders als für einen Mann.«
    »So, ist es das?« Katharina schnaufte. »Können Mädchen nicht lernen, was … begehren heißt?«
    Bei dem Wort begehren zuckte er zusammen. »Doch«, murmelte er, »doch natürlich, das können sie, aber …«
    »Aber was?«
    »Aber für Mädchen ist es noch gefährlicher als für Männer. Und bitte glaub mir, für Männer ist es gefährlich genug.«
    »Und was nützt mir das? Soll ich, weil es gefährlich ist, damit aufhören, und verrätst du mir auch, wie man das macht?«
    »Du bist nicht bei Trost, Kathi Grashüpfer.« Prüfend sah er ihr ins Gesicht. »Das, was du zu mir sagst, würde kein anderes Mädchen seinem Vetter ins Gesicht sagen. Nicht einmal die kecke Jette hätte dazu den Schneid gehabt.«
    »Ach, am Schneid hat es mir nie gefehlt«, bemerkte Katharina. »Mein Problem ist eher: Ich habe zu viel davon.«
    »Das kann man wohl sagen!«
    »Aber wir haben uns ja versprochen, den anderen nichts zu verraten. Also kann ich zu dir sagen, was ich will, oder nicht?«
    Noch während sie auf seine Antwort wartete, wurde das Tor in Helens Gartenmauer geöffnet, und heraus trat Ben. Wie üblich trug er schwarze Stiefel und Reithosen zu einem Hemd aus grobem reinem Leinen. Immer ging er aufrecht, mit gestrafften Schultern wie der Herr der Straße. Als hätte sie ihn nicht vor drei Tagen, sondern vor drei Jahren zum letzten Mal gesehen, starrte Katharina ihn an.
    »Sag mal, ist das nicht euer Bursche?«, kam es von Stefan. »Ben Alvarez?«
    Katharina gab keine Antwort, starrte Ben an und wünschte sich Stefan ans andere Ende der Welt.
    Dem entfuhr ein ächzender Laut. »Das Spiel, das du spielst, ist noch viel gefährlicher, als ich gedacht habe. Hüte dich, Kathi, um Gottes willen, hüte dich.«
    Sie fuhr herum. »Und was machst du jetzt?«, herrschte sie ihn an. »Läufst du zu meiner Mutter, die glaubt, ich bin beim Sprachunterricht, brichst dein Versprechen und erzählst es ihr?«
    Stefan senkte den Kopf. »Nein«, sagte er leise. »Vielleicht wäre es meine

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