Im Land der gefiederten Schlange
Röcken der Mutter festgekrallt und geheult hatte, bis er um ein Haar erstickt wäre. Er konnte an diesem kläglichen Wurm nichts Starkes finden und war sicher, ohne Miguel, der ihm die Hand gegeben hatte, wäre er gestorben.
»Willst du etwas essen?«, fragte die Mutter geradezu ängstlich. »Ich habe mittags Tamales gemacht, ohne Fleisch zwar, aber nicht übel. Ein Rest ist noch da.«
»Nein«, antwortete Benito. Und dann zwang er sich: »Ich habe mit Carmen zu sprechen, und dann muss ich zurück in die Stadt.«
Die Mutter wies hinüber zum Verschlag. »Carmen ist beim Melken. Das faule Ding, die Inez, ist ja ständig zu ihrem Vergnügen unterwegs. Ich wünschte, Miguel …«
»Was wünschst du Miguel?«, unterbrach sie Benito. »Dass Carmen sein Mädchen wäre, nicht meines?«
Ertappt schlug sie den Blick zu Boden. »Nein, nein, so meinte ich es ja nicht …«
»Es ist gut«, sagte er, drückte behutsam ihre Hand und ging hinüber zum Verschlag. An einem Pflock, der einmal zu einem Zaun gehört hatte, band er das Maultier an.
Carmen kniete im Stroh bei der größten der Ziegen. Das Haar fiel ihr offen über den Rücken, und ihre schmalen Schultern zuckten mit den Bewegungen des Melkens. Benito musste sich ducken, um den Verschlag zu betreten, und geduckt blieb er eine Weile stehen und betrachtete sie mit schmerzlicher Zärtlichkeit. Sie war einen Tag lang seine sorglose erste Liebe gewesen und war bei ihm geblieben, als gleich darauf alles zerbrach. Sie hatte ihn gepflegt, als er halb zum Krüppel gedroschen im Schlamm gelegen hatte, hatte ihm Mut zugesprochen und noch öfter geschwiegen und ihm Zeit gelassen. Sie hatte hingenommen, dass sein Ehrgeiz ihm mehr galt als sie, und hatte ihn, wo immer sie konnte, unterstützt. So wie sie würde ihn keine mehr lieben. »Cuicatl«, sagte er, »Carmen«, und hörte, dass in seinem Ton schon alles lag.
Sie presste die Zitze aus, stellte den Eimer ab und drehte sich um. Er kniete sich zu ihr. Ihr Lächeln erstarb. Benito streichelte ihr Gesicht und kam sich noch schäbiger vor.
»Schlechte Nachrichten, Schöner? Du siehst müde aus.«
Auf dem Weg hatte er sich hundert Möglichkeiten überlegt, wie er es ihr ohne Grausamkeit erklären konnte. Jetzt aber wurde ihm klar, dass es eine solche nicht gab. »Du und ich«, sagte er, »wir können nicht mehr zusammen sein. Ich kann es dir nicht erklären, und ich will mir keine Lügen ausdenken. Mir fällt gar nichts ein, das ich sagen könnte.«
Er fand ihre Augen unglaublich schön. Sie konnten sich mit Tränen füllen und doch ruhig bleiben. Auch ihre Stimme blieb ruhig. »Dann lass es mich sagen. Es gibt ein anderes Mädchen.«
Er erwiderte nichts.
»Ich hatte immer den Wunsch, dir so viel wie möglich zu ersparen«, fuhr sie fort, »aber dieses werde ich dir nicht ersparen. Du musst mir antworten, es gehört sich so. Wir waren nicht nach der Form verlobt, und in unseren Kreisen hat ohnehin niemand Zeit, sich um Formen zu scheren, aber dennoch glaube ich, dass du mir so viel schuldest. Es ist ein anderes Mädchen, ja?«
»Nein«, antwortete er. »Nein und ja.«
»Also ja?«
»Ja«, sagte er und löste den Beutel mit dem Geld vom Gürtel. »Bitte glaub nicht, dass du mir jetzt nichts mehr wert bist oder dass ich das Geld, das ihr braucht, nicht mehr bringe. Ich will für dich sorgen, Carmen, ich möchte nie, dass du Not leidest …« Die Worte, von denen eines schäbiger klang als das andere, versiegten. Er legte ihr den Beutel in die Hand.
Sie hatte ihn unentwegt angeschaut, jetzt aber senkte sie den Blick auf den Beutel, zog die Lederschnüre auf, schüttete die Münzen heraus und schien sie zu zählen. Wie sich ihr Hals dabei neigte, musste er tausendmal gesehen haben. Es tat erstaunlich weh, sie zu verlieren, so sehr, dass die wilde Freude, die sich darunter regte, kaum zu fassen war.
Langsam hob Carmen den Kopf, bis ihre Blicke einander wieder trafen. »Ich habe nie geglaubt, dass ich mir wünschen könnte, dich zu schlagen«, sagte sie, warf ihm das Geld in den Schoß und rannte fort.
Später als erhofft kehrte Benito in die Stadt zurück. Im letzten Moment hatte Inez ihn aufgehalten, die von irgendwoher kam und sich an ihn hängte. Hätte er sich ihrer entledigen wollen, hätte er sie brutal aus dem Weg stoßen müssen, und daran hinderte ihn Miguels Stimme, die ihm beständig im Ohr klang: Behandle sie mit Achtung. Das Mädchen hatte die Liebe des Bruders nicht verdient, aber wer verdiente schon
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