Im Land der gefiederten Schlange
gehört, biss sie ihm so kräftig ins Ohr, dass er sich einen Schmerzlaut verkneifen musste. »Nächstes Mal kannst du mich treffen, wo die Engländer wohnen. Stefan nimmt mich bis dorthin mit, und du brauchst dir vor Sorgen keine Falten zuzulegen. Weißt du was? Stefan ist in diese Georgia Temperley verliebt.«
Benito seufzte und rieb sich das Ohrläppchen. »Ich wünschte, er wäre in dich verliebt, Ichtaca.«
Sie ließ ihn los und trat zurück. »Warum?«
»Weil es gut für dich wäre. Du solltest ihn heiraten.«
»Ich will aber nicht!« Wie eine Schlange schoss sie auf ihn zu, packte ihn wieder beim Haar und schüttelte ihm den Kopf durch, dass ihm Hören und Sehen verging. »Hast du mich verstanden, du törichter Kerl? Ich will etwas anderes, und das eine lass dir gesagt sein: Katharina Lutenburg bekommt alles, was sie will!« Damit ließ sie ihn los und gab ihm noch einen Kuss, zwang seine Lippen auseinander und küsste sich an ihm satt.
Als ihre Münder sich trennten, rangen beide nach Atem. Das Schweigen zwischen ihnen war so beredt, wie es wortlos war. Benito sah Katharina in die glänzenden, erwartungsvollen Augen und begriff, dass diese Frau, die doch noch keine Frau war, etwas vermochte, das Carmen, Helen und all die anderen nicht vermocht hatten: Sie konnte ihm weh tun, und er hatte sich geschworen, dass ihm im Leben kein Mensch mehr weh tun würde. Katharina legte eine Hand an seine Wange und streichelte ihn so zart, als hätte sie Angst, seine Haut zu verletzen. Es war dennoch dieser Augenblick, in dem er noch etwas begriff. Sie war nicht nur in der Lage, ihm weh zu tun. Sie würde es tun. Und es gab nichts auf der Welt, das er dagegen ausrichten konnte.
16
Es ist Krieg, und ich bin jung.
Es ist Krieg, und ich bin toll vor Glück.
War das in allen Kriegen so, dass junge Mädchen in ihrem Glück durch die Straßen rannten, dass sie sich sorgten, nicht darum, wie der Krieg ausgeht, sondern darum, ob das rote Tuch ihnen steht und ob ihr grässliches Haar in den Flechten hält?
Es ist Krieg, und ich bin verliebt.
Es mag Krieg sein, am andern Ende der Welt, doch dieses Ende der Welt gehört mir.
Der Mutter die Lüge über Georgia Temperley zu erzählen, war ein genialer Einfall gewesen. Zusammen mit Stefan hatte Katharina ihn ausgeheckt: Sie hatte ihn bedrängt, ihr den Namen seiner Liebsten zu verraten, und als er ihr schließlich nachgegeben hatte, war ihnen die Idee gekommen. Anders als Tante Traude, die Stefan in den Ohren lag, er solle sich eine Stelle bei Deutschen suchen, hielt es Katharinas Mutter mit Onkel Fiete, der neulich aus der Zeitung vorgelesen hatte: »Der Brite ist vornehm, reserviert und besonnen und damit dem Hanseaten nicht nur im Blute verwandt.« Dass Stefan ihre Tochter in solche Gesellschaft mitnahm, war der Mutter recht, und somit konnte Katharina sich manch kostbaren Abend mit Benito stehlen.
»Warum ich dir bei diesem Irrsinn noch helfe, weiß der Himmel«, klagte Stefan wieder einmal sich selbst an, während sie sich an diesem Abend auf den Weg zu den Temperleys machten. Für den weiten Weg hätten sie den Wagen nehmen sollen, aber Stefan konnte nicht fahren, und sie hatten keinen Kutscher mehr.
»Weil du mein Freund bist«, erwiderte Katharina und stellte fest, dass das stimmte. Natürlich bedeutete Benito ihr unendlich viel mehr, aber Stefan war in diesen Wochen ihr Freund geworden, der Mitverschwörer, der ihr schönstes Geheimnis teilte. Sie hatten einen Bund der Verliebten gebildet, dem auch Luise und ihr Ichsager hätten angehören können, nur durfte Luise weder von Benito noch von Georgia etwas wissen.
»Wenn ich wirklich dein Freund wäre, müsste ich alles tun, um dir diese Verrücktheit auszureden«, bemerkte Stefan düster.
Katharina blieb stehen. »Und du glaubst, das könntest du? Versuch lieber den weißen Berg Orizaba zu verschieben. Könnte ich dir vielleicht deine Georgia ausreden? Könnte das irgendwer auf der Welt?«
Stefan, der ebenfalls stehen blieb, rieb sich die Stirn, als ließen sich dadurch die Gedanken beschleunigen. »Nein«, gab er schließlich zu. »Aber ich wünschte, jemand könnte es.«
»Warum?«
Sie war es von Stefan gewohnt, dass er bei jeder Antwort zauderte und ihre Geduld auf die Probe stellte. Diesmal aber kam seine Erwiderung schnell: »Weil ich mit dem, was ich tue, nicht nur mich gefährde. Hast du je daran gedacht, dass das für dich genauso gilt, Kathi?«
Sie hatte versucht, nicht daran zu denken. Weder an die
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