Im Land der gefiederten Schlange
küsste jeden einzeln und ging zurück an seinen Platz.
Sie wünschte sich seit Monaten, er möge es ihr sagen. Sie lag nächtelang bei Kerzenschein, las eins von Onkel Christophs Büchern mit Liebesgedichten –
ich denke dein, wenn sich des Mondes Flimmer in Quellen malt –
und träumte von ihm. Er hingegen hatte ihr noch nie gesagt, dass er sie liebhatte, dass sie ihm mehr bedeutete als einen Zeitvertreib. Sie sehnte sich danach, es zu hören, aber jetzt, als er sich wieder in den Spalt zwischen den Tischen klemmte und beim Hinsetzen die Schultern beugte, sah sie es ihm an. Seine Liebe zu ihr und dazu einen Schmerz, der sich ihrem Verständnis entzog. Auf einmal glaubte sie Stefans Stimme zu hören. »Vergiss nie, dass dein Benito kein hübsches Spielzeug ist.« Sie wollte ihn in die Arme nehmen, mit ihrer Zärtlichkeit seinen Schmerz lindern, aber sie begriff, dass ihr das nicht gelingen würde. Stattdessen sandte sie ihm einen Kuss in Gedanken, nahm den Krug und schenkte ihren Becher wieder voll.
Der Wein war wirklich sauer. Wie viel zu frühe Johannisbeeren. Aber sie mochte ihn trotzdem. Hätte sie Zucker hineinrühren können, hätte er ihr köstlich geschmeckt.
»Pass auf, dass dir nicht der Himmel auf den Kopf fällt, während du das trinkst.«
»Und warum sollte der Himmel das tun?«
»Weil das Land, auf dem dieser Wein wächst, der katholischen Kirche gehört. Am Ende musst du noch Namenstag feiern, mit all dem papistischen Gesöff im Blut.«
Katharina ließ sich nicht beirren. »Warum kauft der Wirt seinen Wein von der Kirche? Ist er dort billiger?«
»Im Gegenteil. Er ist vermutlich so teuer wie der importierte Edeltropfen von deinem Ichsager, und der Wirt kauft ihn, weil er keinen anderen bekommt. Irgendwann im 17 . Jahrhundert hat ein spanischer König den dreckigen Mexicas verboten, Wein anzubauen, weil er Angst hatte, wir könnten es lernen und am Ende den Wein des Mutterlandes übertrumpfen. Nur für Messwein wurde eine Ausnahme gemacht. Die Weinberge gehören noch immer der Kirche, und in Mexiko hat bis heute niemand gelernt, ordentlichen Wein zu machen, also lassen wir Léperos uns lieber mit Pulque volllaufen.«
»Du trinkst keine Pulque. Und was sind Léperos?«
»Arme Schlucker. Keine Ichsager.«
»Benito, kannst du mit dem Ichsager jetzt endlich aufhören? Ich freue mich für Luise, aber ich habe keine Ahnung, was sie an diesem Sigmund findet. Mich hat er zu Tode gelangweilt mit seiner Ichsagerei.«
Aus seinem Blick war all das Störrische, Stolze verschwunden. »Nein, Ichtaca«, erwiderte er und trank von seinem Wein, »ich glaube, ich kann damit nicht aufhören. Das bekommen wir Affenkinder doch mit der Muttermilch eingeflößt, dass wir nicht nach den Sternen greifen sollen, nicht nach den Halbgöttern, die heller und schöner sind als wir, denn die sind für uns nicht bestimmt. Wenn wir begehrlich nach ihnen blicken, holt uns La Llorona und ersäuft uns wie die Ratten im Fluss.«
Er konnte solche Dinge beißend vor bösem Zynismus sagen, aber heute lag in seiner Stimme nur Traurigkeit. Katharina ergriff seine Hand, legte sie sich an die Wange und liebkoste sie, wie sie gern alles von ihm liebkost hätte, seine Augen, seine Schultern, sein Herz. Das Wort – La Llorona –, das in ihrer Familie für entsetztes Erstarren sorgte, nahm sich daneben klein aus. Aber wissen wollte sie es dennoch. »Sagst du’s mir?«, bat sie ihn.
»Was?«
»Warum La Llorona euch im Fluss ertränkt, wenn ihr … wenn ihr Menschen liebt, die heller sind als ihr.«
»Weil sie das auch getan hat, oder? Sie hat einen Mann gewollt, der nicht für sie bestimmt war. Er kam in ihr Land, um es ihrem Volk wegzunehmen, und sie wollte ihn, obwohl sie ihn für einen Gott hielt und sie nicht mehr als eine pfefferfarbene Menschin war.«
»Und was ist ihr geschehen?«, fragte Katharina leise.
Benitos Braue zuckte. »Was soll schon geschehen sein? Ihr Gott hatte sich bald genug mit ihr vergnügt und ließ sich eine hübsche weißhäutige Frau aus seiner Heimat kommen.«
»Und die Llorona?«
»Die hat vor Schmerz ihr bisschen Verstand verloren. Um den Gott zu strafen, hat sie den Sohn, den sie von ihm hatte, ertränkt. Seither muss sie umherziehen und ohne Unterlass um ihn weinen, und Kinder, die solche Idioten sind, wie sie es war, sackt sie ein und wirft sie in den Fluss, weil die’s nicht besser verdienen.«
Katharina hatte die Geschichte Hunderte von Malen gehört, von ihrer Mutter wie von der
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