Im Land der letzten Dinge (German Edition)
überlassen hatte, dürfte es ihm schwergefallen sein, seine Autorität in diesem einen Punkt geltend machen zu wollen, ohne damit stillschweigend auch auf anderen Gebieten mehr Verantwortung zu übernehmen. Auch sprach Isabel das Thema Gott nicht an, wie sie es bei mir getan hatte. Sie unterrichtete ihn trocken von den Tatsachen, erzählte, wie ich sie gerettet hatte, einschließlich des Wo und Wann, doch ohne Schnörkel und Kommentare. Ferdinand hörte ihr schweigend zu, scheinbar desinteressiert, und sah ab und zu verstohlen zu mir her, obwohl er die meiste Zeit einfach aus dem Fenster starrte, als ginge ihn das alles gar nichts an. Als Isabel ausgeredet hatte, schien er einen Augenblick darüber nachzudenken und zuckte dann die Achseln. Zum ersten Mal blickte er mich offen an und sagte: «Sehr bedauerlich, dass sie sich dieser Mühe unterzogen haben. Tot wäre die alte Vogelscheuche besser dran.» Und damit zog er sich, ohne eine Antwort von mir abzuwarten, auf seinen Stuhl in der Ecke des Zimmers zurück und vertiefte sich wieder in die Arbeit an einem winzigen Schiffsmodell.
Ferdinand war jedoch nicht so schlimm, wie ich gedacht hatte, zumindest nicht am Anfang. Sicher, er war ein wenig hilfsbereiter Zeitgenosse, doch ohne die ausgemachte Bösartigkeit, die ich erwartet hatte. Seine schlechte Laune machte sich in kurzen, zänkischen Ausbrüchen Luft, aber die meiste Zeit blieb er stumm, weigerte sich hartnäckig, mit irgendjemandem zu reden, und brütete wie ein feindseliges Fabeltier in seiner Ecke. Ferdinand war ein hässlicher Mann, und er hatte keine Eigenschaft, die seine Hässlichkeit vergessen ließ – keinen Charme, keine Großzügigkeit, nichts, was einen mit ihm versöhnen konnte. Er war klapperdürr und bucklig, hatte eine große Hakennase und eine Halbglatze. Das bisschen Haar, das er noch hatte, war kraus und ungepflegt und stand wüst nach allen Seiten ab, und seine Haut war bleich wie die eines Kranken – von einem gespenstischen Weiß, das durch die schwarze Behaarung auf seinen Armen, Beinen und seiner Brust nur noch weißer wirkte. Immer unrasiert, in Lumpen gehüllt und nie mit einem Paar Schuhen an den Füßen sah er aus wie die Karikatur eines Strandläufers. Man konnte fast meinen, seine Schiffsmanie habe ihn dazu gebracht, die Rolle eines Robinson auf einer einsamen Insel zu spielen. Oder umgekehrt. Bereits gestrandet, hatte er angefangen, als Zeichen seiner inneren Verzweiflung Schiffe zu bauen – ein heimlicher Hilferuf. Doch hieß das nicht, dass er mit einer Reaktion auf seinen Ruf rechnete. Ferdinand würde niemals mehr irgendwo hingehen, und das wusste er. In einem seiner umgänglicheren Momente gestand er mir einmal, dass er seit über vier Jahren keinen Fuß mehr vor seine Wohnung gesetzt habe. «Da draußen ist nur der Tod», sagte er mit einer Gebärde zum Fenster hin. «In diesen Gewässern lauern Haie und Wale, die einen mit Haut und Haar verschlingen können. Bleib an Land, rate ich dir, bleib an Land und gib so viele Rauchsignale, wie du kannst.»
Was Ferdinands Talent betraf, so hatte Isabel nicht zu viel versprochen. Seine Schiffe waren tatsächlich kleine Meisterwerke, phantastisch gearbeitet, genial entworfen und zusammengesetzt, und solange ihm genug Material zur Verfügung stand – Holz- und Papierschnitzel, Leim, Schnur und gelegentlich eine Flasche –, war er viel zu sehr in seine Arbeit vertieft, um im Haus irgendwelchen Ärger zu machen. Ich fand heraus, dass man am besten mit ihm auskam, wenn man ihn einfach übersah. Anfangs gab ich mir jede Mühe, meine friedlichen Absichten zu beweisen, aber Ferdinand war so kratzbürstig, so durch und durch von sich und der Welt angeekelt, dass das nichts einbrachte. Freundliche Worte bedeuteten ihm nichts, und oft genug verwandelte er sie in Drohungen. Einmal beging ich zum Beispiel den Fehler, seine Schiffe laut zu bewundern und anzudeuten, dass sie eine Menge Geld einbringen würden, wenn er sich entschließen könnte, sie zu verkaufen. Aber Ferdinand geriet außer sich. Er sprang von seinem Stuhl auf, stampfte durchs Zimmer und fuchtelte mir mit seinem Federmesser vor dem Gesicht herum. «Meine Flotte verkaufen!», brüllte er. «Bist du verrückt? Nur über meine Leiche! Von keinem einzigen trenne ich mich – niemals! Das ist Meuterei, jawohl! Ein Aufstand! Noch ein Wort, und du marschierst über die Planke!»
Seine einzige andere Leidenschaft bestand anscheinend darin, die im Haus lebenden Mäuse zu fangen.
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