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Im Land der letzten Dinge (German Edition)

Im Land der letzten Dinge (German Edition)

Titel: Im Land der letzten Dinge (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Auster
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nichts dagegen unternimmt. Weiß Gott, ich habe versucht, mich zu beherrschen, aber es gab Zeiten, da hielt ich es nicht mehr aus, da glaubte ich, mir würde das Herz zerspringen. Dann schloss ich die Augen und mühte mich einzuschlafen, doch mein Gehirn war völlig aufgewühlt, schwemmte Bilder des vergangenen Tages nach oben, höhnte mich mit einem Inferno von Straßen und Leichen, und um das Chaos zu vervollständigen, gingen mir auch Ferdinands jüngste Beleidigungen nicht aus dem Kopf, so dass an Schlaf überhaupt nicht zu denken war. Masturbieren war das Einzige, was ein wenig zu helfen schien. Verzeih mir meine Unverblümtheit, aber ich wüsste nicht, wieso ich mich zieren sollte. Wir alle bedienen uns ja dieser Lösung, und unter den damaligen Umständen hatte ich keine große Wahl. Fast ohne mir dessen bewusst zu sein, begann ich meinen Körper zu streicheln, wobei ich mir einbildete, meine Hände gehörten jemand anderem – ich rieb mir den Bauch sanft mit den Handflächen, strich über die Innenseiten meiner Schenkel, umfasste zuweilen sogar meine Hinterbacken und bearbeitete das Fleisch mit den Fingern, als gäbe es mich zweimal und wir lägen einander in den Armen. Mir war klar, dass es sich nur um ein trauriges Spielchen handelte, doch mein Körper reagierte gleichwohl auf diese Tricks, und schließlich spürte ich unten Feuchtigkeit zusammenlaufen. Den Rest besorgte der Mittelfinger meiner rechten Hand, und sobald es vorbei war, durchrieselte Schlaffheit meine Knochen und machte meine Augenlider schwer, bis ich endlich in Schlaf sank.
    Alles gut und schön, mag sein. Das Problem war nur, dass es in so beengten Verhältnissen gefährlich war, auch nur das leiseste Geräusch zu verursachen, und in gewissen Nächten muss ich mich verraten haben, muss mir im entscheidenden Augenblick ein Seufzer, ein Winseln entschlüpft sein. Ich sage dies, weil ich bald merkte, dass Ferdinand mir gelauscht hatte, und verkommen wie er war, fand er natürlich bald heraus, was ich da trieb. Nach und nach wurden seine Beleidigungen immer anzüglicher – ein Hagel von Anspielungen und hässlichen Seitenhieben. Nannte er mich eben noch eine perverse kleine Hure, behauptete er gleich darauf, kein Mann würde je ein so frigides Miststück wie mich anfassen wollen – alles widersprüchliche Unterstellungen, die unaufhörlich und von allen Seiten auf mich einstürmten. Es war eine einzige Niedertracht, und ich wusste, dass das für uns alle noch böse ausgehen würde. In Ferdinands Gehirn hatte sich etwas eingenistet, was nicht mehr herauszubekommen war. Er sammelte Mut, holte zum Schlag aus, ich sah, wie er täglich dreister wurde, selbstsicherer, seinem Ziel näher kam. Mit diesem Zöllner am Muldoon Boulevard hatte ich meine erste schlechte Erfahrung gemacht, aber das war im Freien gewesen, und ich hatte weglaufen können. Hier sah die Sache anders aus. Die Wohnung war zu klein, und wenn dort etwas geschähe, säße ich in der Falle. Abgesehen davon, nie mehr zu schlafen, fiel mir nichts ein, was ich hätte tun können.
    Es war Sommer, den Monat habe ich vergessen. Ich erinnere mich noch an die Hitze, die langen Tage, die das Blut zum Kochen brachten, die stickigen Nächte. Die Sonne ging unter, aber die sengende Luft lag noch immer auf einem, voller Gerüche, die einem den Atem verschlugen. An einem solchen Abend kam Ferdinand schließlich zur Sache – auf allen vieren schob er sich zentimeterweise durch das Zimmer, rückte mit dämlicher Verstohlenheit an mein Bett heran. Aus Gründen, die ich noch immer nicht begreife, war meine ganze Panik in dem Augenblick wie weggeblasen, da er mich anfasste. Ich hatte dort im Dunkeln gelegen und mich schlafend gestellt, ohne zu wissen, ob ich versuchen sollte, ihn abzuwimmeln oder einfach aus Leibeskräften zu schreien. Jetzt wurde mir plötzlich klar, dass ich weder das eine noch das andere tun würde. Ferdinand legte seine Hand auf meine Brust und ließ ein leises Kichern aus, eines jener selbstgefälligen, erbärmlichen Geräusche, die nur von Leuten kommen können, die in Wirklichkeit bereits tot sind, und in diesem Moment wusste ich ganz genau, was ich zu tun hatte. In diesem Wissen lag eine so tiefe Gewissheit, wie ich sie nie zuvor empfunden hatte. Ich sträubte mich nicht, ich schrie nicht auf, ich reagierte mit keinem Teil meiner selbst, den ich als mir zugehörig erkennen konnte. Plötzlich schien alles egal zu sein. Alles. Ich war von jener Gewissheit erfüllt, und die

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