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Im Land der Mond-Orchidee

Im Land der Mond-Orchidee

Titel: Im Land der Mond-Orchidee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Witt de
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dann lieh er sich rasch eines von Richards Pferden
und folgte ihnen in einigem Abstand. Oben auf dem Hangrücken hielt er sein
Pferd im Schutz der herabhängenden Lianen an und beobachtete das Haus durch ein
Fernglas. Da man dort wie überall auf der offenen Veranda saß, wenn es nicht
gerade regnete, bekam er eine Menge von den Besuchern zu sehen, aber nichts,
was irgendwie interessant gewesen wäre. Er hatte im Dorfkrug nur zu berichten
(und von dort machte die Nachricht bei allen deutschen Pflanzern die Runde und
landete zuletzt wieder im Waisenhaus), dass der Amtmann offenbar großes
Interesse an Fräulein Anderlies hatte, ihr immer wieder Bücher und andere
Geschenke mitbrachte und kleine Spaziergänge mit ihr unternahm, während der
Wedono sein diskretes Interesse der schönen Frau Selmaker zuwandte.

3
    D ie Regenzeit
dauerte an. Die verkrüppelten Kinder hatten nicht viel von ihrer hübschen neuen
Unterkunft, weil der Rasenboden hinter dem Garten zu weich war, um ihn mit den
Rädern eines Rollstuhls zu befahren. Entweder grollte der Donner schon am
Morgen vor Sonnenaufgang, oder es plätscherte den ganzen Tag durch, um dann
nachts wie ein Wasserfall auf das Dach hinabzustürzen. Aus den dünnen,
glitzernden Wasserfäden im hellen Grün der Gräser waren beunruhigend heftige Bäche
geworden, die die Straße wegzureißen drohten. Immer wieder mussten Rinnen
gegraben und mit Holzbrettern ausgelegt werden, um die Flut die Böschung hinabzuleiten
und zu verhindern, dass sie große Erdbrocken ablöste.
    Von den steilen Palmdächern rann das Wasser so schnell ab, dass sie
kaum richtig nass wurden; daher konnten sie auch nicht faulen. Irgendwann
jedoch war die Erde voll wie ein Schwamm. Eines Nachmittags ging ein besonders
schlimmes Unwetter nieder, sodass die beiden jungen Frauen zum ersten Mal an
der Festigkeit des Hauses, in dem sie wohnten, zweifelten. Der Sturm tobte
wüst, am schlimmsten in den weit ausladenden Kronen der alten Bäume, die hoch
oben auf dem Bergrücken standen. Immer wieder erklang ein Grollen, und gleich
darauf spürten sie, wie der Boden unter ihnen bebte. Noch nie hatten sie ein
Erdbeben erlebt, und sie erschraken beide furchtbar.
    Â»Sollten wir nicht versuchen, uns in Sicherheit zu bringen?«, fragte Paula ängstlich.
    Schwester Florinda schüttelte den Kopf. »Hier gibt es keine
Sicherheit. Ob oben oder unten, jede Handvoll Erde ist von den ständigen
Regengüssen durchtränkt wie ein Schwamm. Sie kann nichts mehr aufnehmen und …«
    Sie stieß einen Schrei aus und bekreuzigte sich. Von draußen drang
ein tief aus dem Erdinneren heraufsteigender Donner herauf und dann ein
Geräusch, als würden die Wurzeln der Riesenbäume von einer gigantischen Hand
aus der Erde gezogen und wie ein Bündel Rübchen zusammengedreht. Zutiefst
erschrocken stürzte Neele ans Fenster und sah, dass sich oberhalb des Hauses,
auf der Seite, wo man über die Bambusbrücke zum Losmen hinritt, eine
meterbreite tiefe Schlucht geöffnet hatte, in der ein plötzlich auf das
Fünffache angeschwollener Wildbach bergabwärts strömte. Mit jedem Atemzug wurde
die Schlucht breiter, als der Bach Erdbrocken von seinen zerbröckelten Ufern
abriss. Noch war das Unheil gute zwanzig Meter von ihnen entfernt, aber wie
lange würde es dauern, bis sich ein weiterer Spalt in dem unterspülten Hang
öffnete?
    Neele sprang auf. »Ich reite zu den Hagedorns. Sie müssen uns helfen …«
    Schwester Florinda schüttelte den Kopf. »Die Leute, die hier am Hang
wohnen, haben jetzt keine Zeit und Kraft, anderen zu helfen.«
    Â»Aber hier sind Kinder!«
    Â»Tiefer im Tal unten auch. Und wie ich Ihnen sagte, es gibt hier
keinen sicheren Ort.«
    Zögernd ließ Neele sich wieder auf die Bank sinken, auf der sie, mit
einer Näharbeit beschäftigt, gesessen hatte. Sie warf Paula einen Blick zu. Die
Freundin war ebenfalls sehr blass. Ihre Lippen zitterten, als sie sagte: »Wir
sind hier am besten aufgehoben, glaub mir. Das Haus steht auf ebenem Grund und
ist gut gebaut, so schnell rutscht das nicht weg.«
    Während die beiden jungen Frauen oben im Waisenhaus den Hangrutsch
miterlebten, waren Lennert und Ameya zu Pferd auf der Bergstraße unterwegs.
Ameya wollte zurück in die Stadt, Lennert in das deutsche Dorf, um den alten
Doktor zu sprechen. Beide hatten ihre Kautschukmäntel bis

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