Im Land der Mond-Orchidee
dann, auf einen Gehstock
gestützt, zum Haus schritt.
Neele lief ihm entgegen. Er sah kränklich aus, und seine Bewegungen
waren mühselig, da er den rechten Arm nicht richtig gebrauchen konnte, aber
zweifellos hatte er das Schlimmste hinter sich. Bei ihrem Anblick breitete sich
ein Lächeln über sein Gesicht, aber er trat unwillkürlich einen Schritt zurück,
um jeden körperlichen Kontakt zu vermeiden. Neele blieb drei Schritte vor ihm
stehen und erwiderte sein Lächeln.
»Wie geht es dir?«, fragte sie scheu.
»Es wird noch ein Weilchen dauern, bis ich völlig wiederhergestellt
bin. Mit dem Arm kann ich noch nicht viel anfangen, sogar den Gehstock muss ich
in der Linken halten. Ein wenig musst du noch warten. Kannst du das ertragen?«
»Gewiss. Du musst vollkommen gesund sein, bevor du dir eine Reise
zumuten kannst. Komm ins Haus! Schwester Florinda möchte euch begrüÃen, und ich
habe kalten Tee mit Keksen bereitgestellt.«
Die Heimleiterin erwartete sie im Esszimmer mit dem achteckigen
Tisch. Wie es die Sitte verlangte, wurden kleine Bissen wie gefüllte
Teigtaschen und gebackene Bananenschnitze angeboten, und eine Weile saà man bei
müÃigem Geplauder beisammen. Neele war jedoch klar, dass Ameya sie unter vier
Augen sprechen wollte, er war sichtlich unruhig. Auch die Nonne und Dr. Bessemer merkten es, denn nach einer Weile standen beide auf und verlieÃen
unter dem Vorwand, die frisch gepflanzten Rosenstöcke im Hintergarten
besichtigen zu wollen, den Raum.
Ameya griff nach der Karaffe mit dem Arrak und schenkte sein Glas
voll. Was er zu fragen hatte, wollte ihm ohne Stärkung nicht über die Lippen
kommen. »Was ist mit deinem Kind, Neele? Warum hast du es den Nonnen gegeben?
Dr. Bessemer hat es mir erzählt, also stimmt es wohl?«
»Ja, es stimmt. Es ist immer noch dort. Sie sorgen gut für die
Kleine.«
Der Wedono blickte sie traurig und argwöhnisch an. »Eine Mutter gibt
ihr Kind nicht leichtfertig her. Selbst die meine hat mich behalten, obwohl es
ihr Schrecken und Kummer genug bedeutete, als sie mich sah. Willst du mir
sagen, dass dein Kind verkrüppelt war oder ein anderes Zeichen am Körper trug?«
Sie schüttelte den Kopf. Es war nicht einfach, ihm zu erklären, was
geschehen war. Er hatte nichts davon gehört, dass die Hautfarbe eines
Elternteils eine Generation oder sogar mehrere überspringen und dann erst durchschlagen
kann. Umso besser verstand er, mit welchem Unverständnis man diesem kleinen
Geschöpf begegnet wäre. Er wage gar nicht daran zu denken, sagte er, wenn in
seiner Familie eine junge Frau plötzlich ein weiÃes Kind mit blondem Haar und
blauen Augen bekommen hätte!
Plötzlich wurde ihm bewusst, was dieser Umstand bedeutete. »Dann
bist du ein Mischling, Neele.«
»Ja, gewiss.«
Er merkte, dass sie nicht begriff, und legte den Zeigefinger an die
Lippen. »Schweig darüber! Deine Stellung hier ist schwierig genug. Wenn man von
deiner Abstammung erfährt, werden viele Menschen dich anders behandeln.
Vielleicht wird es ihnen selber gar nicht bewusst sein, aber sie werden es tun.«
»Aber für deine Familie müsste es doch â¦Â«
Er schüttelte den Kopf. »Meine Familie ist adelsstolz, Neele. Eine
Mestizin würden sie genauso wenig akzeptieren wie eine WeiÃe. Und selbst wenn
du ein javanisches Mädchen wärst, würden sie verlangen, dass deine Eltern
adelig sind und deine Familie mindestens so alt und angesehen wie die meine
ist. Ist das nicht in Deutschland genauso? Würde ein Fürst von Hohenzollern ein
armes Mädchen mit dunkler Haut heiraten dürfen, das von weit übers Meer
gekommen ist, auch wenn sie einen weiÃen Vater hatte? Gewiss nicht.«
Sie musste ihm zustimmen, sagte jedoch: »Und wenn dieser Fürst das
arme Mädchen so liebte wie du mich?«
Ameya drückte ihre Hand. »Dann würde er seine Familie verlassen und
mit ihr in ein fernes Land ziehen, wo Weià oder Braun keine Bedeutung hat. Ich
liebe dich sehr, Neele, und es ist mit mir, wie es in eurer Bibel geschrieben
steht: âºSo wird ein Mann Vater und Mutter verlassen und seinem Weibe anhangen,
und sie werden ein Fleisch sein.⹠Aber hier wird man uns das niemals gestatten.« Ameya sprach mit leiser Stimme. »Wir sollten nicht länger
warten. Wenn du ebenso entschlossen bist wie ich, so sollten wir es gleich tun,
und
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