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Im Land der Mond-Orchidee

Im Land der Mond-Orchidee

Titel: Im Land der Mond-Orchidee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Witt de
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das Kind sollten wir mitnehmen.«
    Neele schwieg. Sie konnte ihm nicht sagen, wie verhasst ihr dieses
Kind war, das ihre Mutter zur Hure stempelte. Tante Käthe hatte recht gehabt,
sie hatte sich in Bremerhaven herumgetrieben, wo Schiffe aus aller Herren
Ländern anlegten mit ihren schwarzen, braunen und gelben Matrosen, und die
Hinterlassenschaft eines solchen Mannes war jetzt in ihrem Schoß wiedergeboren
worden. Freilich, das Kind konnte ja nichts dafür, aber wie sollte sie mit ihm
umgehen? Würde sie nicht bösartig und ungerecht zu ihm sein, da sie es schon
von allem Anfang an nicht wollte?
    Â»Es fällt mir schwer«, sagte sie.
    Ameya nickte seufzend. »Mir fällt das ebenfalls alles schwer. Ich
will auch nicht das Kind eines fremden Mannes in meiner Familie haben, aber
dieses Kind ist nun einmal in unsere Hände gelegt, und wir dürfen es nicht
weglegen. Neele.« Er umfasste ihre Hände und blickte ihr tief in die Augen.
»Wir können das nur durchstehen, wenn wir uns vollkommen aufeinander verlassen
können. Wenn du nur den geringsten Zweifel hast, dann sag es mir jetzt, und ich
werde dich nie wieder in Unruhe versetzen.«
    Â»Ich habe keine Zweifel.« Neele stand auf
und holte aus dem Nebenzimmer die dicke Bibel herbei, aus der Pastor Ormus
täglich gelesen hatte, und legte sie auf den Tisch. »Glaubst du mir, wenn ich
auf die Bibel schwöre? Das ist unser heiligster Schwur.«
    Er nickte, lehnte es jedoch ab, seinerseits auf die Bibel zu
schwören. Was ihn angehe, habe das nichts zu bedeuten, meinte er; er wisse ja
nicht einmal, ob er nun ein getaufter Moslem oder ein islamischer Christ sei
oder überhaupt nichts von allem. Er habe jedoch etwas, auf das er einen
unverbrüchlichen Eid schwören könne. Mit diesen Worten zog er seinen Dolch aus
der Scheide und legte die geflammte Klinge auf die Bibel.
    Â»Ein Kris ist mehr als eine Waffe«, sagte er. »Wenn er geschmiedet
wird, so verleiht der Empu, der Waffenschmied, ihm durch arkane Riten eine
Seele, und die ist für immer mit der des Mannes, der ihn trägt, verbunden.
Jeder javanische Mann, sei er reich oder arm, muss einen Kris besitzen, und
kein Mann zwischen zwölf und achtzig Jahren darf außer Haus gehen, ohne seinen
Dolch bei sich zu tragen. Der Kris ist sein Schutzgeist, sein Stellvertreter
und sein Begleiter. Der Knabe trägt ihn beim Beschneidungsritual, der Mann bei
der Hochzeitsfeier; man kann ihn als Wächter zu Hause lassen, wenn man auf
Reisen geht, und viele Männer bringen ihm Gebete und Opfer dar. Ein Schwur, den
ich bei meinem Kris tue, ist unverbrüchlich.«
    Â»Dann lass uns schwören«, flüsterte Neele mit bebender Stimme.
    Sie standen einander gegenüber, die verschlungenen Hände auf der
Bibel und dem Dolch, und sprachen ihr Hochzeitsgelübde, dessen Worte sie sich
selbst ausgedacht hatten. »Ich will dich immer ehren und dir treu sein, ich
will dir niemals schaden, ich will dein Gefährte, deine Gefährtin sein, ob wir
gute oder schlechte Tage erleben.«
    Mit dem »Amen« nahmen sie einander in die Arme und küssten einander
auf die Wange, scheu und zärtlich, aber mit einer Leidenschaft, die tiefer ging
als bloße Verliebtheit. Ameya umklammerte Neeles Hände. »Lass uns bald gehen«,
bat er sie. »Wenn ich mich entschlossen habe, etwas zu tun, dann will ich nicht
lange warten, schon gar nicht, wenn es mich so schmerzt wie mein Heimatland zu
verlassen und«, fügte er hinzu, »wenn es so gefährlich ist. Ich bin kein
Feigling, aber ich liebe das Leben, und ich will es nicht an jemand verlieren, der
aus dem Hinterhalt tötet.«

Eine entscheidende Botschaft
    1
    I n einer Zelle der
»Barmherzigen Irren- und Idiotenanstalt« in Flensburg nahe der dänischen Grenze
kauerte Elsie Laudrun auf dem Boden ihrer Zelle und schrieb. Das tat sie den ganzen Tag, bis das Papier zerriss, die Bleistifte
stumpf wurden und ihre Finger bluteten. Nahm man ihr das Papier weg, so schrieb
sie auf dem Boden, den Wänden und den Fensterläden weiter. Ihr ganzes Herz lag
in diesen Niederschriften. Wollte man sie daran hindern, so musste man sie in
eine Zwangsjacke stecken, und dann weinte und klagte sie. Aber wenn man sie fragte,
was sie denn so Wichtiges zu schreiben habe, so schüttelte sie nur den Kopf.
    Aus der schönen Elsie Laudrun war in den vergangenen fünfzehn Jahren
eine greisenhafte Frau geworden,

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