Im Land der Mond-Orchidee
Verbrechens
zu verwischen. Die beiden Frauen müssen geflohen sein, wenn sie nicht an
anderer Stelle ermordet wurden.«
Lennert umschritt die Brandruine. »Dann müssten wir Ameyas Leiche
auch finden, denn ein Feuer aus Holz und Palmblättern ist nicht heià genug, um
einen menschlichen Körper völlig zu zerstören.«
Sie suchten eine gute Stunde lang in den Trümmern, fanden aber nur
den angesengten Revolvergurt des Wedono. »Kann es nicht doch sein«, fragte
Bessemer den Arzt, »dass er nur verwundet war und sich in Sicherheit gebracht
hat?«
Lennert musste seine schwache Hoffnung enttäuschen. »Hätte er dann
seinen Schuh zurückgelassen? AuÃerdem, glauben Sie mir, wer so viel Blut
verliert, läuft nicht mehr auf eigenen Beinen davon. Meiner Meinung nach wollte
der Dritte am Tatort die Spuren verwischen, hat Ameyas Leiche irgendwo
versteckt und die von Jürgen Simms ins Haus gezerrt, ehe er es anzündete.«
Dr. Bessemer war äuÃerst bedrückt. »Ich hatte Ameya gerne«, gestand
er. »Er war mir mehr als ein Mitarbeiter. Er war mein Vertrauter, mein Freund.«
»Dennoch«, erwiderte Lennert mit kaum verhohlenem Zorn, »haben Sie
ihn nicht zu Ihrer Hochzeit eingeladen und Neele auch nicht.«
Der Amtmann zuckte die Achseln. »Erinnern Sie sich, was ich Ihnen
auf dem Schiff sagte? Ihr jungen Leute kommt hierher voll guter Ideen, was man
alles besser machen könnte. Erst wenn ihr oft genug mit dem Kopf gegen die Wand
gerannt seid, seht ihr ein, dass das nicht so einfach ist. Ich hätte Ameya
einladen können, ja â und ihn damit den ganzen Abend frostigen Gesichtern und
spitzen Bemerkungen ausgesetzt. Die Leute hätten ihm einfach die kalte Schulter
gezeigt. Ich verzichte lieber auf die Anwesenheit eines Freundes bei meiner
Hochzeit, als ihn öffentlichen Demütigungen auszusetzen, und das gilt auch für
Neele. Aber das alles ist jetzt irrelevant. Wir müssen zurück in die Stadt und
die Polizei verständigen. Nach Ameyas Leiche muss gesucht werden. Sie kann
nicht weit von hier versteckt sein, der Täter hat sich sicher nicht die Mühe
gemacht, sie meilenweit durch den Dschungel zu schleppen. Wir müssen sie bald
finden. Es sei denn â¦Â« Er brach ab und biss sich auf die Lippen.
»Es sei denn â was?«, drängte Lennert.
Die Antwort kostete Dr. Bessemer offenbar einige Ãberwindung. »Der
Blutgeruch. Nach dem Fleck auf dem Boden zu schlieÃen, muss sein Körper mit
Blut getränkt gewesen sein, und der Geruch macht Raubtiere närrisch, sodass sie
auch am hellen Tag nach der Beute suchen. Es ist gut möglich, dass ihn ein
Tiger weggeschleppt hat.«
Lennert schauderte bei der Vorstellung, wie das Raubtier mit
blutbeflecktem Maul an der Leiche des Mannes zerrte, der ihm ein Freund gewesen
war. Blass und bedrückt kehrte er zu seinem Pferd zurück, das am Waldrand auf
ihn wartete, und saà auf. Dr. Bessemer folgte ihm. Zwei zutiefst
niedergeschlagene Männer machten sich auf den Weg zurück in die Stadt.
Das Pesthaus
1
N eeles fast
schlafwandlerische Flucht endete erst, als es dunkel wurde und sie ständig
Gefahr lief, gegen Baumstämme zu prallen. Da hielt sie inne, setzte sich unter
einen Baum und lehnte den Rücken an seine Rinde. Vergessen war alle Furcht vor
wilden Tieren. Sie nahm ihre Umgebung kaum wahr. Den Kris ihres ermordeten Gatten
im SchoÃ, saà sie da und hielt flüsternde Zwiesprache mit der Waffe, deren
geflammte Klinge sich unter ihren Fingern zu bewegen schien. Hatte Ameya ihr
nicht erzählt, dass der zauberkundige Waffenschmied dem Dolch eine Seele
verlieh, die in innigster Verbindung mit der Seele des Mannes stand, der ihn
trug? War der Kris nicht sein Schutzgeist, ja, sein spiritueller Doppelgänger,
der die Sache seines Trägers zu seiner eigenen machte? Nicht sie hatte den Mann
getötet, der sie zu vergewaltigen versucht hatte, Ameyas Geist hatte seinen
Mörder heimgesucht, indem er den Kris in ihre Hand legte und sie führte.
Stunden vergingen, ehe die Erschöpfung des langen Laufs den Sieg
über ihre Erregung davontrug und sie am Fuà des Baumes in sich zusammensank.
Den Kris hatte sie in ihr Halstuch gewickelt und in den Schaft ihres
Knöpfstiefels geschoben, wo sie ihn dicht an ihrem Körper spüren konnte. Dann
schlief sie ein. Es war ein bleierner Schlaf ohne Träume. Sie erwachte
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