Im Land der Mond-Orchidee
Rebellen, die den Kolonialherren den Kampf
angesagt hatten?
Nach einer Weile durchzog der unverkennbare Geruch der auf dem
Herdfeuer bratenden Fische das Haus, und Neele war froh, dass sie Gelegenheit
gehabt hatte zu essen, sonst wäre sie bei diesem Duft krank vor Hunger
geworden. Und da sie nun schon über Essen nachdachte: Wer waren die unbekannten
Freunde, die die hier Versammelten mit Esswaren unterstützten? Brot und Reiskuchen
waren so frisch gewesen, dass man noch die Wärme des Backofens fühlte. Es
musste also ganz in der Nähe ein Dorf oder wenigstens ein Haus geben, dessen Bewohner
Freunde der Räuber oder Rebellen waren.
Obwohl sie sich durch die Gegenwart der Unbekannten in unmittelbarer
Gefahr befand, beschäftigten sich ihre Gedanken in einer ganz müÃigen Weise mit
deren Angelegenheiten, als läge sie in ihrem Bett und träumte ohne besonderes
Interesse einer Geschichte nach, die sie eben gelesen hatte. Was Ameyas Tod in
ihr zurückgelassen hatte, war kein schneidender Schmerz, sondern ein Gefühl der
Leere und Gleichgültigkeit. Sie hatte keine Angst vor Entdeckung. Wie einer
beiläufigen Unterhaltung lauschte sie den von unten heraufdringenden Geräuschen,
die immer lebhafter wurden, als die Nacht fortschritt. Man nahm sich jetzt
nicht mehr so sehr in Acht, offenbar waren die Leute überzeugt, dass es niemand
wagen würde, sich der vom Typhus gebrandmarkten Plantage zu nähern. Das
Gespräch wurde lauter geführt, gelegentlich war vergnügtes Gelächter zu hören.
Einmal kamen Schritte die Treppe zum ersten Stock hinauf, und eine Tür â
wahrscheinlich die des Kinderzimmers oder die daneben liegende zum Zimmer der
Amme â wurde geöffnet und etwas später wieder geschlossen. Neele hörte ganz
deutlich ein Klirren, als würde ein Sack voll Münzen geschüttelt, dann ein
Rasseln, und die Schritte kehrten über die knarrende Treppe nach unten zurück.
Waren Räuber hier zusammengetroffen, um ihre Beute zu zählen und dann zu
verstecken? Oder enthielt das Haus die heimliche Kriegskasse von
Aufständischen?
Es war noch tiefe Nacht, als die Fremden ihre Mahlzeit und
Zusammenkunft beendeten und das Knarren der Vordertür verriet, dass sie leise
wieder davonhuschten. Neele rührte sich nicht. Sie empfand keinerlei Bedürfnis
nachzusehen, ob irgendwelche Spuren darauf schlieÃen lieÃen, wer hier die halbe
Nacht verbracht hatte.
Nachdem sie lange dem nächtlichen Lärm gelauscht hatte, der jetzt
nur noch aus den Kehlen und Schnäbeln der Dschungelbewohner drang, wickelte sie
den Kris wieder in ihr Halstuch und verbarg ihn im Stiefel, dann rollte sie
sich zum Schlafen ein.
Es war eine sehr schwüle Nacht gewesen, und Neele erwachte mit
Kopfschmerzen. Sie horchte angespannt, hörte aber kein Geräusch von unten, also
schlich sie vorsichtig die erste und dann die zweite Treppe hinunter und eilte
durch den Flur zum Brunnen. Das kalte Wasser linderte die Schmerzen, sodass
ihre Augen wieder klar wurden. Jetzt empfand sie doch eine gewisse Neugier, was
es mit dem nächtlichen Besuch auf sich gehabt haben mochte, und da dieser sich
im Erdgeschoss aufgehalten hatte, öffnete sie vorsichtig eine Tür nach der anderen.
Zwei führten in verlassene und verwüstete Zimmer, die dritte in eine geräumige
Küche mit einem Kamin wie ein Bergwerkstor und einem mächtigen holländischen
Tisch, dessen Platte mit blauen Delfter Kacheln belegt war. Das Feuer im Kamin
war mit Wasser gelöscht worden, der Tisch war leer, es stand kein schmutziges
Geschirr herum. Nichts verriet, dass eine gröÃere Gruppe von Menschen hier
gegessen und getrunken hatte. Die heimlichen Besucher waren sehr bedacht
darauf, selbst an einem so sicheren Ort keine Spuren ihrer Anwesenheit zu hinterlassen.
Das bedeutete, dass sie ausnehmend gute Gründe haben mussten, nicht entdeckt
werden zu wollen.
Neele verlieà die Küche und stieg die Treppe wieder hinauf. Sie
öffnete die Tür des Kinderzimmers, aus dem sie in der Nacht das Klingeln und
Rasseln von Geld gehört hatte. War hier tatsächlich Geld versteckt worden? Sie
durchsuchte das Zimmer, fand aber nichts, bis sie das Sofa aus dem Weg schob,
um ans Fenster zu gelangen. Da wurde ein Scharren hörbar, als würden zwei
flache metallene Gegenstände aneinandergerieben. Sie beugte sich darüber und
inspizierte die Löcher, die die Mäuse in den
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