Im Land der Mond-Orchidee
reizbar; und die Trinker verfallen viel schneller als in Europa dem
Säuferwahnsinn. Sie werden eines lernen müssen: Schlafen Sie viel, arbeiten Sie
in Ruhe, regen Sie sich über nichts auf. In den Tropen kann ein Wutanfall Ihren
Tod bedeuten. Ihr Gehirn kann bersten wie eine überreife Frucht.« Er nahm einen langen Zug an seiner giftgemischten Zigarre
und bedeutete dem Jungen, weiteren Tee einzuschenken.
»Warum haben Sie sich dann nicht auch gleich das Betelkauen
angewöhnt?«, fragte Lennert, der sich ärgerte über die
Leichtigkeit, mit der sein ärztlicher Einwand beiseitegewischt worden war.
»Oh, weil es eine hässliche Folge hat. Sehen Sie, der Kalk, mit dem
die Betelfrüchte gemischt werden, verätzt die Wangenschleimhaut. Da die
Betelkauer den Klumpen den ganzen Tag im Mund haben, entsteht mit der Zeit ein
Geschwür und, wenn man Pech hat, sogar ein richtiges Loch in der Wange. Das
möchte ich denn doch nicht riskieren.« Dr. Bessemer
lachte gemütlich. »Ich sehe, Sie sind verärgert, mein junger Freund. Das ist
meistens so. Ihr jungen Leute kommt, seid empört darüber, wie wir leben, macht
uns Vorwürfe und wollt uns ändern, und nach einem oder zwei Monaten seid ihr
völlig erschöpft, habt ständig Sonnenstich gehabt und seid drauf gekommen, dass
wir mit unserer Erfahrung von zehn oder zwanzig Jahren es vielleicht gar nicht
so schlecht gemacht haben.«
Für europäische Verhältnisse, erklärte er, sei man in Batavia bei
der Erledigung aller Amtswege sehr langsam, aber daran stoÃe sich niemand. Die
Einheimischen kennten sowieso keine Eile, und die im Lande lebenden Europäer
hätten sich daran gewöhnt, dass es kurz nach dem Frühstück schon wieder Zeit
für eine reichliche Mittagspause war, um der Mittagshitze zu entgehen, und erst
am späten Nachmittag wieder gearbeitet wurde. In der trockenen Jahreszeit war
es ohnehin fast unmöglich, irgendetwas zustande zu bringen, weil die alle
Feuchtigkeit ausdörrenden Monsunwinde der Vegetation, Tieren und Menschen
gleichermaÃen zusetzten. Schon aus dem Haus zu gehen bedeutete eine Belastung,
der man sich nur ungern aussetzte. In den Ãbergangszeiten zwischen den beiden
Jahreszeiten, den sogenannten Kenteringstyden, war das Klima so ungesund, dass
beinahe jeder Zweite krank im Bett lag. Dann folgte die Regenzeit, während der
entnervende Dauerregen vom Himmel herabströmten.
Wenigstens aber war zu dieser Zeit die Luft rein und kühl. Sie dauerte vom
November bis April und verwandelte das Land in eine einzige Schlammkuhle. Was
wiederum die Arbeitsprozesse verlangsamte, weil es Fahrten über Land praktisch
unmöglich machte.
»Sie sehen«, sagte der Kontrolleur, »es ist immer angebracht, sich
nicht zu hetzen. Glauben Sie mir, wenn einmal solche von Natur aus
arbeitswütigen Leute wie die Chinesen begriffen haben, dass sie es langsam angehen
müssen, dann will das wirklich etwas heiÃen.«
»Ich wusste nicht, dass auf Java auch Chinesen leben«, sagte Paula.
»Oh ja, ziemlich viele sogar. Aber man zählt sie nicht eigentlich
zur Bevölkerung. Irgendwie gehören sie nicht dazu. Sie sind nur hier, um die
Einheimischen auszubeuten, dann fahren sie mit dem Geld nach Hause; hier hält
sie nichts. Bei vielen Arabern ist es das Gleiche. Die Deutschen und Engländer
und natürlich die Holländer sind anders â wenn die einmal hier sind, dann
bleiben sie hier, bauen sich Häuser, gründen Familien, organisieren ihre Klubs,
gehen sonntags in ihre Kirche. Ihre Kinder wachsen hier auf, und sie werden ein
Teil des Landes.«
Neele starrte in ihren SchoÃ. Sie versuchte sich vorzustellen, wie
das Kind in ihrem Schoà â ob es ein Junge oder ein Mädchen wurde? â in Java
aufwuchs, mittags Huhn mit Gewürzen aà und bunten Singvögeln nachlief.
Vielleicht spielte es mit braunen Kindern, wenn sie getauft waren, aber sie
würde sicher nicht zulassen, dass es mit Kindern spielte, die rote Drachenzähne
hatten. Und gab es in Batavia Läden, in denen man kurze Hosen für Jungen und
Schürzenkleider für Mädchen kaufen konnte?
»Frau Selmaker?« Dr. Bessemer stupste sie an. »Meine Liebe, Sie sind
ja ganz in Gedanken versunken.«
Sie lächelte entschuldigend. »Ich höre einfach so viel Neues und
Ungewohntes, das geht mir im Kopf herum. Verzeihung, wenn ich Ihnen
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