Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Land der Mond-Orchidee

Im Land der Mond-Orchidee

Titel: Im Land der Mond-Orchidee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Witt de
Vom Netzwerk:
besessen
hat.«
    Endlich gab er es ihr, und sie entfaltete das Papier und nahm das
bunte Band mit den Jadesteinen heraus. Ihre Hand bebte, als sie daran dachte,
dass er das Amulett Tag für Tag um den Hals getragen hatte. Es atmete eine Intimität
aus, die sie verlegen und glücklich zugleich machte. »Wie konnte er mir etwas
so Wertvolles schenken?«, fragte sie.
    Â»Er sagte, du seiest jedes Geschenk wert.«
    Sie schlug den Blick nieder, um zu verbergen, dass ihr Herz heftig
pochte und ihr ein dunkles Rot in die Wangen stieg. Wenn das kein Liebesbeweis
war, was dann? »Ich weiß nicht, wie ich ihm danken soll«, flüsterte sie.
    Â»Indem du sein Geschenk trägst und in Ehren hältst«, antwortete
Lennert prompt. »Er wäre sehr gekränkt, wenn du keinen Gebrauch davon machtest.«
    Mit zitternden Fingern legte sie das Band um den Hals und ließ den
Verschluss einschnappen. Es schmiegte sich weich an ihre Haut. Die Jadesteine
fühlten sich einen Augenblick lang kalt an, aber sie würden sich durch den
Kontakt mit ihrem Körper rasch erwärmen. Neele verbarg das Amulett unter der
Bluse. Sie wollte nicht, dass es irgendjemand sah. Es war ein zu persönliches
Geschenk, um es fremden Blicken auszusetzen. Sie war noch völlig verwirrt von
dieser jähen Offenbarung der tiefen Gefühle, die Ameya für sie hegte. Dass sie
ihm gefiel, hatte sie bemerkt, jede Frau hätte solche Blicke eines Mannes zu
deuten gewusst, aber dass seine Empfindungen eine solche Tiefe und Intensität
erreichten, hatte sie nicht erwartet. Sie kannten einander ja erst ganz kurz.
Und doch musste er einen festen Entschluss gefasst haben, sonst hätte er ihr
niemals ein so kostbares und so persönliches Geschenk gemacht.
    Â»Ich glaube, er liebt dich«, sagte Lennert, der wie die meisten
Männer nicht besonders einfühlsam war. Und als er ihre tiefe Verlegenheit
bemerkte, suchte er seinen Fehler gutzumachen und fügte tollpatschig hinzu:
»Was ist denn Schlimmes daran? Deinen Mann siehst du ohnehin nicht wieder, also
bist du so gut wie ledig.«
    Â»Lennert!«, mahnte Paula. »Was bist du für
ein Grobian! Siehst du nicht, dass das alles für Neele nicht einfach ist? Komm,
Neeleken, wir lassen den Tölpel allein und machen einen kleinen Spaziergang. Du
musst ohnehin noch Abschied von Pastor Ormus nehmen, nachdem du nicht auf
seinem Begräbnis warst. Es gehört sich so.«
    Â»In den Dschungel? Nein! Nicht nach allem, was ich erlebt habe!«
    Â»Komm, sei nicht albern.« Paula legte
energisch den Arm um ihre Schultern. »Wir sind zu zweit, wir entfernen uns
nicht weit vom Haus, und es ist heller Tag, da wird uns kaum etwas passieren.
Du musst deine Angst überwinden, sonst traust du dich eines Tages nicht einmal
mehr in den Garten.«
    Neele gab seufzend nach. Sie wusste ja, dass sie es auf Dauer nicht
würde vermeiden können, wieder die Straße durch den Dschungel zu nehmen und
sich im Garten aufzuhalten. Paula hatte recht, je eher sie sich überwand, desto
besser.
    Sie umrundeten das Haus und schlugen am Ende des Hintergartens einen
schmalen, erst kürzlich frisch ausgetretenen Pfad ein, der mitten in die
Wildnis führte. Himmelhoch über ihnen schwankten die Kronen der Riesenbäume, in
denen die Affen turnten und die Vögel ihre schrillen Schreie ausstießen. Am
Boden des Regenwaldes herrschte ein so trübes Zwielicht, dass dort kaum etwas
wuchs; der ganze Reichtum der Vegetation entfaltete sich hoch über ihren Köpfen
in einem dicht verflochtenen Gewirr aus Ästen, Blattfächern, Lianen und den
Ranken der Orchideen. Eine dumpfe Schwüle, erfüllt vom Geruch modernder
Blätter, herrschte unter dem Laubdach.
    Sie folgten dem Pfad und gelangten nach kaum einer Viertelmeile zu
einer Stelle, an der ein frisches Holzkreuz aus dem Boden ragte. Im Umkreis
hatten einst gut drei Dutzend weitere Kreuze gestanden, die alle zur selben
Zeit gesetzt worden waren, aber von ihnen war kaum mehr etwas übrig als Trümmer
verrotteten Holzes. Feuchtigkeit und Holzkäfer hatten die Andenken an die Opfer
des Typhus fast völlig zerstört. Neele fühlte, wie ein Frösteln sie überlief.
Wie schnell die Erinnerung an einen Menschen hier schwand! Auf dem Friedhof in
Norderbrake hatte es hundert Jahre alte Gräber gegeben, bemoost, aber immer
noch kenntlich, und die Familien hatten die Gräber ihrer frühesten

Weitere Kostenlose Bücher