Im Land der Mond-Orchidee
dass uns wenigstens der
Jaguar nichts mehr antun kann. Ich hätte jeden Tag Angst gehabt, wenn da ein
Menschenfresser unterwegs ist, der Leute auf offener StraÃe angreift.« Sie stand auf und wandte sich zur Tür. »Schlaf,
Neeleken.«
Der Trank musste ein Schlafmittel enthalten haben, denn Neele fühlte
sich tatsächlich sehr müde. Vor sich hin dösend lag sie im Bett. Ihre Gedanken
wandelten sich langsam in zusammenhanglose Träume, in denen Ameya eine
bedeutende Rolle spielte. Dann schlief sie ein.
5
D ie schwüle Hitze
erlaubte kein langes Zuwarten, daher wurde Pastor Ormus früh am Morgen nach seinem
Tod beerdigt. Er fand seine letzte Ruhestätte auf der Lichtung im Dschungel
hinter dem Haus, wo auch die Opfer des Typhus begraben lagen. Da in der Eile
kein calvinistischer Prediger für den Trauergottesdienst aufzutreiben war (und
Pastor Ormus sich entschieden geweigert hätte, von einem Lutheraner eingesegnet
zu werden), übernahm Vater Hagedorn die Leitung der kurzen Feierlichkeit, an
der viele Bewohner des deutschen Dorfes teilnahmen. Sie alle hatten den
Geistlichen geschätzt, obwohl seine letzten Jahre ins Dunkel geistiger Umnachtung
getaucht gewesen waren. Hagedorn las einen Abschnitt aus der Bibel, ein Lied
wurde gesungen, dann kehrte man in den Dorfkrug zurück zum Leichenschmaus, den
mangels irgendwelcher Verwandter der Wirt ausrichtete.
Lennert übernahm es, Dr. Bessemer Mitteilung vom Tod des Pastors zu
machen, der ja für sie alle den Tod ihres Hausherrn bedeutete. Der junge Arzt
war schockiert über den Vorfall. Er hatte noch nie gesehen, wie jemand unter
den Pranken eines Raubtiers zu Tode kam, und es war ihm schwergefallen,
professionelle Ruhe zu bewahren, als er und der alte deutsche Doktor die
sterblichen Ãberreste eingesammelt und in einen Behelfssarg gebettet hatten. In
der Ordination unten im Dorf hatten sie dann eine
vorläufige Obduktion vorgenommen und der Polizei Meldung gemacht, dass der
Pastor durch den Angriff eines Raubtiers getötet worden war. Dieses eindeutige
Obduktionsergebnis und die Zeugenaussagen änderten jedoch nichts daran, dass
die Frauen murmelten und tuschelten. Lennert mochte ihnen noch so oft erklären,
dass es im Dschungel eben wilde Tiere gab und Pastor Ormus nicht der erste
Mensch war, der einem von ihnen zum Opfer gefallen war â sie hielten ihm
entgegen: Wenn der Jaguar so hungrig gewesen war, dass er ganz gegen die Gewohnheit
dieser Tiere auf offener StraÃe und in der Nähe von Häusern einen Reiter
überfiel, warum hatte er das Pferd dann nicht aufgefressen? Dessen Kadaver war
nämlich, zwar von Prankenhieben zerfetzt, aber ohne jede FraÃspuren, im
Dickicht aufgefunden worden. Und warum war seit dem Tag, an dem der Wirt des
Dorfkrugs den Jaguar erschossen hatte, der Suduk von niemand mehr gesehen
worden? Es gab natürlich ganz vernünftige Antworten auf diese Fragen: Den
Jaguar hatte das Auftauchen der schreienden und Lampen schwingenden Menschen so
erschreckt, dass er trotz seines Hungers von seiner Beute abgelassen hatte und
geflüchtet war, und dem Suduk war der Boden unter den FüÃen zu heià geworden,
nachdem der Wedono ihn auf der Festwiese so scharf verwarnt hatte. Zweifellos
war er weitergezogen und ärgerte jetzt irgendwo anders die Leute mit seinem
Hokuspokus.
Aber was nützten alle Erklärungen! Was nützte es, dass die beiden
Ãrzte und Richard Hagedorn jeden lauthals auslachten, der sich von solchen
Ammenmärchen erschrecken lieÃ! Einige der Deutschen waren nicht weniger
abergläubisch als die Javaner. Wenn sie unter sich waren, munkelten sie von
Zauberern, die sich in Tiere verwandeln konnten, und die besonders Ãngstlichen
schlichen heimlich in die Kota, um sich bei den chinesischen Händlern Amulette
gegen solche Angriffe zu besorgen.
Tief in Gedanken ritt der Arzt die BergstraÃe entlang. Hin und
wieder begegnete ihm der Karren eines Händlers, den er mit freundlichem
Kopfnicken grüÃte. Oft wurde ihm dann bei einem kurzen Halt eine Banane oder
Kokosnussmilch als Erfrischung angeboten. Die Leute waren liebenswürdig â oder
hatten sie nur Angst vor ihm und suchten sich bei ihm einzuschmeicheln?
Plötzlich ging ihm der Gedanke durch den Kopf, dass nicht nur die Europäer Angst
und Misstrauen gegenüber dem fremden Volk empfanden. Umgekehrt war es genauso.
Wahrscheinlich fürchteten die Javaner, einmal
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