Im Land der Orangenbluten
Erschöpfung allesamt eingenickt. Erika nahm also das Tuch der Sklavin und verschwand in ihrem Zimmer. Nachdem sie sich gewaschen hatte, versuchte sie, ihren Körper in das Sklavenkleid zu wickeln. Es gelang ihr nach mehreren Versuchen schließlich, den Stoff, der weder Haken noch Ösen hatte, zum Halten zu bringen. Zwar blieb eine Schulter unbedeckt, was ihr gleich eine peinliche Röte ins Gesicht schießen ließ, aber der kühle Stoff war zu Erikas Erstaunen bei diesen Temperaturen luftiger und angenehmer als jedes andere Kleidungsstück. Nun musste sie nur noch ihr verschmutztes Kleid zur Wäschekammer in den Kochkessel bringen. Sie spähte durch die Tür, im Haus war alles still. Schnell lief sie barfüßig durch den Flur.
Jette nahm Erikas Kleid entgegen und lächelte wohlwollend, als sie Erika sah. »Misi sehen gut aus.« Sie zupfte noch einen Knoten an Erikas Schulter zurecht und zwinkerte ihr fröhlich zu. Erika schämte sich jedoch.
Aber damit nicht genug: Ein Mädchen kam in die Wäschekammer, stutzte bei Erikas Anblick im bunten Tuch kurz und vermeldete dann, Masra Ernst wünsche über den Zustand seiner Kinder informiert zu werden. Erika schluckte. Sie konnte doch nicht so ...
Aber es konnte noch dauern, bis sie etwas Trockenes zum Anziehen hatte, und sie wollte Ernst van Drag auf keinen Fall verärgern. Er war es gewohnt, dass seinen Anweisungen sofort Folge geleistet wurde. Also seufzte Erika. »Wo finde ich den Masra?«
»Auf der Veranda.« Das Mädchen lief kichernd davon.
Erika straffte sich und machte sich auf den Weg. Als sie nach draußen trat, starrte Ernst van Drag sie einen kurzen Moment verwirrt an. Sofort setzte sie zu einer Entschuldigung an: »Die Kinder, es wird zwar besser, aber ich hatte nichts Sauberes mehr zum Anziehen.« Sie wusste nicht, ob der starre Blick von Ernst van Drag Tadel sprach oder gar Verachtung. Beschämt senkte sie den Blick, dabei wurde sie gewahr, dass sie auch noch barfuß war. Welch eine Verfehlung! Nun würde sie bestimmt Ärger mit dem Hausherrn bekommen.
Dass der Blick des Masra lüstern zu glänzen begann, als er die zarte weiße Haut ihrer Schultern im rötlichen Abendlicht schimmern sah, und ihn das exotische Gewand an der an sich so züchtigen und tugendhaften Erika eher zu erregen als zu verärgern schien, bemerkte sie nicht.
Kapitel 7
Julie starrte auf die Straße vor dem Haus. Seit einem Tag war sie nun in der Stadt, aber vor die Tür getraut hatte sie sich noch nicht. War es überhaupt standesgemäß, allein das Haus zu verlassen? Natürlich hätte sie Foni bitten können, sie zu begleiten, oder Hedam, den alten, gebeugten Haussklaven. Draußen sah sie ab und an Frauen in schicken kleinen Kutschen vorbeifahren, die Dienerschaft lief stets zu Fuß hinterher. Aber zum einen wusste sie nicht, wo sie eine Droschke hätte bestellen sollen, zum anderen hätte sie dem Fahrer auch kein Ziel nennen können. Und zu Fuß, zu Fuß sah man die Weißen gar nicht. Also würde Julie auffallen, wenn sie einfach so auf der Straße spazieren ging. Es zog sie jedoch nach draußen, sie wollte endlich etwas von dieser Stadt sehen.
Als am Nachmittag ein Besucher gemeldet wurde, war sie fast überrascht. Von Martina und Pieter hatte sie seit ihrer Ankunft nichts gehört, waren sie jetzt etwa gekommen? Schnell machte Julie sich frisch und eilte nach unten. Dort stand Jean Riard in der Eingangshalle. Ihr Herz blieb für einen Moment stehen, und ihre Wangen begannen zu glühen.
»Mevrouw Leevken, ich freue mich, Sie zu sehen.« Galant nahm er ihre Hand und hauchte einen Kuss auf deren Rücken. Julie musste lächeln, so förmlich war er auf der Plantage nie gewesen. Und auch nie so gut gekleidet, wie sie jetzt freudig bemerkte. Hatte er auf Rozenburg eher praktische Baumwollhemden getragen, stand er nun im Jackett vor ihr, sein blondes Haar war adrett zurückgekämmt, die blauen Augen leuchteten schelmisch. Julies Herz machte einen Sprung.
»Mevrouw Leevken, ich habe mir gedacht, Sie würden vielleicht gern etwas von der Stadt sehen. Ich habe eine Droschke mitgebracht, also wenn Sie Zeit hätten, würde ich mich über Ihre Begleitung freuen.«
»Natürlich habe ich Zeit.« Julie ließ sich schnell von Foni Sonnenschirm, Hut und Handschuhe reichen und folgte dem jungen Mann an seinem Arm die Treppen hinunter zur Droschke.
Paramaribo war der Inbegriff einer florierenden Kolonialstadt. Auf den Straßen tummelten sich Menschen vielerlei Hautfarbe. Stimmen- und Sprachgewirr
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